Freitag, 21. Dezember 2007

Aus Den Haag II (Vermeer)

 



In der Ausstellung, von der ich vorgestern berichtet habe, war zu erfahren, daß in Vermeers "Gezicht op Delft" auch einiges an Politik stecken soll. Die Nieuwe Kerk in der rechten Bildhälfte (hier ein Ausschnitt aus dem Bild) sei bewußt ins Licht gerückt worden, während die linke Bildhälfte noch von einer abziehenden Regenwolke überschattet wird. Die Nieuwe Kerk sei wegen ihrer Bedeutung für das Königshaus mit besonderem Licht versehen worden. Sie ist in der Tat bis heute einer der größten Kirchen Hollands und außerdem die Begräbnisstätte des holländischen Königshauses. Zuletzt wurde Prinz Claus von Amsberg hier beigesetzt, in 2004.

Man liest solcherlei politische Theorien und erinnert sich an die tausendfach entfaltete Lehre vom Gleichklang von Poltik und Kunst, die von knarzenden Frauenstimmen, alle irgendwie von Sabine Christiansen ausgebildet, morgens zwischen sieben und acht auf WDR 3 verbreitet wird. Seitdem Napoleon zu Goethe gesagt hat, die Politik sei unser Schicksal, wird auch die Kunst der Politik untergeordnet.

Es fehlt einer wie Willy Brandt ("die Schule der Nation ist die Schule"), der uns wieder sagt "unser Schicksal ist das Schicksal". Lieben, geliebt werden, essen, trinken, schlafen, und - hat das nicht Mozart gesagt? - ein warmer Schiß. Das bildet die Grundlagen für ein persönliches Schicksal, auf das kein Minister je Einfluß gehabt hat.



Vom Standpunkt der Kunst aus gesehen ist die Entscheidung Vermeers, der Kirche das Sonnenlicht zu geben und über den Dächern links im Bild das Regenwasser ablaufen zu lassen, aus ganz anderen Gründen plausibel. Die Kirche leuchtet mit ihrem gelben Mauerwerk am schönsten bei heller Sonne, die Dächer dagegen glänzen wunderbar lachsfarben, wenn der Regen sie naß gemacht hat und das Licht ein wenig gedämpft auf sie fällt.

Was man über Vermeers Planungen für das Bild weiß, ist, daß er die Kirche sehr viel niedriger gemalt hat als sie es damals wirklich war (ein Blitz zerschlug später, 1872, die Spitze des Turmes, sie wurde durch eine noch höhere ersetzt, die heute 109 m mißt). Vermeer hat die Stadtsilhouette als ein recht gleichförmiges Band gemalt und hat dafür sowohl die vorhandenen Türme ein wenig gedrückt als auch das Stadttor rechts im Bild mit einer in der Realität nicht vorhandenen Biegung auf den Bildrand hin dargestellt. Natürlich hat nichts davon mit Politik zu tun.




Marcel Proust läßt seinen Dichter Bergotte beim Anblick des Bildes, das in einer Pariser Ausstellung hängt, sterben. Bergottes Blick hängt dabei an einer kleinen Mauer, rechts neben dem Stadttor, in der hellen Bildhälfte, ganz am Rand des Bildes. Seither kann sich Kunst auch an Mauerwerk messen.

Das Schwindelgefühl nahm zu; er heftete seine Blicke - wie ein Kind auf einen gelben Schmetterling, den es gern festhalten möchte - auf die kostbare kleine Mauerecke. 'So hätte ich schreiben sollen, sagte er sich. Meine letzten Bücher sind zu trocken, ich hätte mehr Farbe daran wenden, meine Sprache in sich selbst so kostbar machen sollen, wie diese kleine gelbe Mauerecke es ist.'

Rendre ma phrase en elle-même précieuse, comme ce petit pan de mur jaune.

Und dann stirbt er, mehrfach murmelnd "Petit pan de mur jaune avec un auvent, petit pan de mur jaune."

Kleine gelbe Mauerecke unter einem Dachvorsprung.

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