Samstag, 13. September 2008

Mond über der Clemgia-Schlucht



Scuol / Schweiz

Beim Anblick des leuchtenden Mondes, der am 16. September zum Vollmond wird, muß ich oft an die Moslems denken, die den Mond in seinen Phasen derzeit intensiver beobachten als sonst. Wir befinden uns nach muslimischer Zeitrechnung im Mond-Monat Ramadan.


Zusammen mit den Juden halten auch die Moslems an einem Mond-Kalender fest, welcher das Jahr in Monate zu 29 oder 30 Tagen aufteilt. Sie entsprechen dem Verlauf des Mondes und beginnen mit der ersten schmalen Sichel des zunehmenden Mondes, haben dann später im Vollmond ihre Mitte und enden im Neumond.

Die Juden passen ihr System, anders als die Moslems, mithilfe eines Schaltmonates ale drei Jahre dem Wechsel der Jahreszeiten an. So liegt bei ihnen der Frühlingsmonat Nisan mit seinem Passahfest am 15. Nisan, also bei Vollmond, meist etwa in unserem April. Derzeit ist in Israel Elul. Wenn der zu Ende ist, zusammen mit dem Ramadan, beginnt bei den Juden Tischri und damit das neue Jahr, Rosch-ha-Schanna, der Kopf (rosch), der Beginn des Jahres (schanna). Dieser erste Tag des Neuen Monates liegt in diesem Jahr auf dem 30. September.

Moslems und Juden feiern in diesem Jahr also beide an diesem 30. September – die einen mit dem Zuckerfest das Ende des Fastens, die anderen das Neue Jahr, das mit zehn „ehrfurchtsvollen Tagen“ (jamim noraim) beginnt und zum Yom Kippur, in diesem Jahr am 9. Oktober, hinleitet.

Den Moslems ist die Anpassung an die Jahreszeiten durch zusätzlich in den Kalender eingefügte Monate im Koran verboten, wenn ich das richtig verstehe. Deshalb wandert der Monat Ramadan jährlich um die elf Tage rückwärts, die das Mondjahr mit seinen 354 Tagen von unserem Sonnenjahr mit seinen 365 Tagen unterscheidet. Der Ramadan wird in acht Jahren entsprechend im Juni liegen und den Moslems das Fasten, zu dem ja auch ein Verzicht auf Trinken gehört, immer schwerer machen – einmal wegen der sommerlichen Hitze und zum anderen wegen der längeren Tage, die den Sonnenuntergang und damit das Ende des Fastens immer weiter nach hinten verschieben.

Aber zurück zum Mond: im Ramadan wird die Nacht nach dem 27. Tag als besondere Nacht gefeiert. Es ist die Nacht El-Quadr, die Nacht der Kraft, der Macht. In meiner alten Übersetzung des Koran* heißt es über diese Nacht

Was lehrt dich wissen, was die Nacht El-Quadr ist?
Die Nacht El-Quadr ist besser als tausend Monde.
Hinabsteigen die Engel und der Geist in ihr
Mit ihres Herrn Erlaubnis zu jeglichem Geheiß.
Frieden ist sie bis zum Aufgang der Morgenröte.
(Sure 97, ab Vers 2)

Im ersten Vers wird das Geheimnis dieser Nacht enthüllt:

Siehe wir haben ihn in der Nacht El-Quadr geoffenbart.

Gemeint ist der Koran. Den habe ich vor einigen Wochen zu lesen begonnen und im Urlaub jetzt bis über die Hälfte durchgearbeitet – siehe meinen Blog dazu. Ich fand viel trockenen Stoff darin, aber solche poetischen Einschlüsse wie der obige haben mich an einigen Stellen doch versöhnt.

Der vom Mondlicht trunkene Eichendorff ist mir bei der Sure 97 eingefallen und seine Lehre, daß der Mensch zur Reinigung und Läuterung immer wieder einmal eine Nacht im Freien verbringen sollte. Vielleicht hätte dem frommen Katholiken Eichendorff das Hinabsteigen der Engel im Licht des Mondes gefallen, kleine silberne Partikel, herabströmend zur Erde. Eine solche Nacht könnte die Erde erneuern, oder nicht? Frieden bis zum Aufgang der Morgenröte…

*von Max Henning, in einer Reclam-Buchausgabe des Koran von 1901

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