Montag, 8. September 2008

Nachtmusik



Sent / Schweiz

Den Inn abwärts liegt das nächste Dorf Sent 1.500 m hoch auf einer Art grünem Balkon über dem Tal und reckt den filigranen Turm einer Kirche aus dem späten Mittelalter (1498) weithin sichtbar in die Höhe. In dieser alten Kirche spielte am Sonntagabend ein Klaviertrio Stücke von Mozart und Schubert, das war der würdige Abschluß eines schönen ersten Urlaubstages.


(Das Unterengadin von Tarasp aus gesehen, mit Scuol in der Mitte und Sent oben im Hintergrund)

Meine Vorliebe für improvisierte Jazz- und Gospelmusik erleichtert mir manchmal den Zugang zu klassischen Stücken, manchmal erschwert sie ihn auch. Mozart gefällt mir mit seinen genialen Voicings, das sind im Jazz Klangeffekte, die durch das Verteilen eines Akkordes auf mehrere Oktaven entstehen. An einer Stelle spielten Geige und Cello wunderbar warm eine Melodie unisono, über zwei Oktaven verteilt, das Klavier füllte vollkommen ebenmäßig die Mitte aus. Schubert dagegen wirkt mit seinen drängenden Emotionen ein wenig uncool, um es einmal so zu sagen. Warum muß ein Mensch, dem so schöne Melodien einfallen, immer den jammervollen Beethoven in seinem Leid zu übertreffen versuchen?

Beim Zusammenspiel der Solisten fehlt mir manchmal der feine Groove, den der eine Spieler vorgibt und den der zweite dann aufnimmt. Jeder Mensch gibt ja einer Melodie einen bestimmten Sinn mit auf den Weg, wenn er sie singt oder spielt, und der zweite Musiker ist aufgefordert, den Sinn zu verstehen und ihn in seine eigene Musik aufzunehmen. Das gelingt bei einfachster Volksmusik oft auf natürliche Weise, bei der Klassik wird es nach meinem Eindruck nicht ausreichend gelehrt, es soll sich wohl bei perfektem Spiel von selbst ergeben. Tut es aber nicht immer. Die polnische Pianistin spielte sehr dezidiert ihren eigenen Groove und bewegte, um dies auch sichtbar zu unterstreichen, ihre Arme so, als ob jeder einzelne Ton aus einem Akt von Kraft und Willen neu geboren werden müßte. Dabei lief die Musik von ganz alleine so schön! Auch die Unart, die Finger immer so von den Tasten zu ziehen, als ob Klebstoff darauf wäre, fand ich bei ihr störend.

Schubert hatte eine schöne melodische Stelle, an der ich daran gedacht haben, daß man sich im Himmel eines Tages, recht bald vielleicht, daran erinnern und sagen wird: auch auf der Erde gab es Momente, in denen man sich nicht nach dem Himmel sehnen mußte, weil er kaum schöner sein konnte.

Die Kirche war reich mit Arvenholz ausgekleidet, auch die Bänke waren aus massiven Brettern dieses Nadelbaumholzes gefertigt, das mit seinen vielen Astlöchern immer ein wenig an IKEA erinnert, nur daß hier für die Fertigung und vor allem für die Verzierung mehr Zeit aufgewendet wurde. Der Fön des Vortages hatte mit seiner feuchten warmen Luft das Inventar offenbar kräftig zum Atmen gebracht, denn es duftete in der Kirche zauberhaft nach Harz und feinem Holz.

Vielleicht hatte auch der Pastor ein wenig mit ätherischen Essenzen nachgeholfen. Er versteht seine Kirche als einen spirituellen Ort, in dem sich das Göttliche aus den äußeren Anreizen wie von selbst ergibt.

Aus einem in der Kirche ausliegenden Blatt:

Gehen Sie jetzt langsam auf den Chor zu. Nähern Sie sich der göttlichen Sphäre. Auf welcher Höhe pendelt sich Ihr Blick ein? Wie verändert sich Ihr Befinden auf dem Weg? Hat sich ihr Atem verändert?

Eine innere Stimme sagt mir bei solchen Gedanken immer ein Gedicht vor, das mit den Worten beginnt, Kafka sprach zu Rudolf Steiner: von euch Jungs versteht mich keiner.

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