Montag, 15. Dezember 2008

60 Jahre minus 25 Tage







Dies ist mein Großvater Erwin Bohle aus Bergneustadt im Oberbergischen Kreis. Er wurde am 19. Mai 1897 geboren und starb am 24. April 1957, wenige Tage bevor er 60 wurde, genau: 25 Tage davor. In 25 Tagen von heute, werde ich nun meinerseits 60 und begehe den heutigen Tag mit einem gemischten Gefühl aus Freude über mein Leben und Bedauern über das viel zu früh und unter quälenden Umständen zu Ende gegangene Leben des Großvaters.

Er war ein Enthusiast und steht so vor meinen Augen, wie ihn mir ein Verwandter schilderte, kurz nach dem Krieg an einer Haltestelle auf die Straßenbahn wartend "mit nichts als zwei Hosenknöpfen in der Tasche" aber strahlend und optimistisch, "als ob ihm die ganze Welt gehörte".

Sein Optimismus hatte ihn früh scheitern lassen, um 1935 herum mußte sein Derschlager Ladengeschäft beim Amtsgericht Gummersbach Konkurs anmelden. Er hatte eine große Anzahl Nähmaschinen gekauft, sehr günstig, und sah vor seinem inneren Auge wie die Menschen im Oberbergischen, über unzählige von diesen Maschinen gebeugt, in häuslichem Fleiß die nebligen Täler östlich von Köln in blühende Landstriche verwandelten. Leider fanden sich kaum Käufer, und die wenigen, die man mit Ratenzahlungen zur Anschaffung einer Nähmaschine reizen konnte, blieben oft die Raten schuldig, so daß mein Opa alles in den Handel gesteckte Geld verlor.

Er hat diesen Mißerfolg als Gottes Fügung angesehen und den Beruf des Baptistenpredigers angenommen, den er nebenberuflich schon lange ausübte und für den er, wie mir viele seiner Weggenossen später berichtet haben, überaus begabt war. 1938 trat er mit erneuertem Enthusiasmus seine erste Stelle an, hier in Remscheid, wo dann seine älteste Tochter meinen Vater kennenlernte und heiratete.

Ohne Erwin Bohles Enthusiasmus wäre ich also nicht, aber sein Enthusiasmus wirkt manchmal auch bitter in mir nach. Auch die Predigerlaufbahn führte meinen Großvater nicht zu dem ersehnten Ziel. Dabei hatte es nicht schlecht begonnen, seine Redegabe war über Remscheid hinaus bekannt geworden, und 1948 hatte er in Cannes sogar mit dem jungen Billy Graham zusammen gesessen, auf einer Konferenz von „Youth for Christ“. Für diese Organisation arbeitete Graham und auch Opa Erwin.

Sicherlich haben beide damals davon geträumt, vor großen Menschenmengen zu evangelisieren, beide hatten bereits damit begonnen und beide wußten um ihr Talent dafür. Mitte 1949 machte Graham sich mit einer eigenen Organisation selbständig und hatte gleich so viel Erfolg, daß er von einem Tag auf den anderen berühmt wurde. Den Großvater trifft Mitte 1949 der Schlag, er wird halbseitig gelähmt und betritt für den Rest seines Lebens keine Kanzel mehr. 1957 stirbt er nach langer Bettlägerigkeit.

Sein Leben gibt mir immer neue Fragen auf.


P.S. Christiane und ich haben laut gelacht, als wir gestern abend versucht haben, ein Foto zu machen, auf dem ich wie der Großvater gucke. Es geht nicht.

Keine Kommentare: