Donnerstag, 2. Juli 2009

Demokratie und Glauben




Für meinen Freund Nureddin.



Vor einigen Jahren habe ich bei dem evangelischen Theologen Eberhard Jüngel (Bild) etwas über das Verhältnis von Kirche und Staat gelesen. Jüngel äußerte daran zunächst eine gewisse Distanz gegenüber dem modernen Staat und vertrat die Ansicht, daß die letzten Ziele des christlichen Glaubens nicht deckungsglech mit den Zielen einer bürgerlichen Demokratie sind. Trotzdem sei die Demokratie allen anderen bekannten Regierungsformen vorzuziehen, weil in ihr die Existenz einer christlichen Kirche am besten gesichert werden könne.

Mir hat damals das Bekenntnis zum besonderen Charakter der Kirche und die kritische Solidarität mit dem modernen Staat, die sich in diesen Worten äußerte, gefallen. In den letzten Wochen bin ich nun erneut auf diese Gedanken gestoßen, diesmal allerdings bei der Frage, ob sich auch die letzten Ziele eines anderen Glaubens mit den Zielen einer bürgerlichen Demokratie in Einklang bringen lassen - des Islam.



Nach meinem Eindruck stellt sich die Frage hier sehr viel schärfer. Man stelle sich vor, ein Vertreter der türkischen Moslems würde etwas Ähnliches wie Jüngel in der deutschen Öffentlichkeit sagen. Er geriete sogleich in den Verdacht, die Demokratie lediglich als einen geschützten Garten anzusehen, in dem am Ende die Scharia als neue Pflanze alles andere überwuchern solle.

Nun habe ich in den letzten Jahren zunehmend moderne Moslems kennen gelernt, die ganz ähnlich wie Eberhard Jüngel davon überzeugt sind, ihren Glauben am besten im staatlichen Rahmen einer westlichen Demokratie leben zu können. Sie wollen diesen Rahmen schon allein deshalb nicht moslemisch umgestalten, weil sie in einem Staat leben, dessen Bürger den unterschiedlichsten Religionen angehören, den Atheismus als heimliche Hauptreligion eingeschlossen. Sie wissen, daß die Umgestaltung des Staates nach den Prinzipien einer einzigen Idee mit einem großen, den Staat letztlich zerstörenden Zwang einhergehen würde.

Nun haben diese modernen Anhänger Mohammneds, welche Islam und Demokratie miteinander versöhnen wollen, viele Gegner. Das beginnt mit den Christen, deren Argwohn gegen jeden kleinsten Anschein von Gottesstaat paradoxerweise durch das eigene Scheitern im Versuch, selbst einen solchen auch nur theoretisch zu denken, geschweige denn herbeizuführen, noch verstärkt wird. Es setzt sich spiegelbildlich bei den Glaubensgenossen aus den eigenen, moslemischen Reihen fort, die ebenfalls das Ideal eines Gottesstaates vor ihrem inneren Auge haben und dieses aus den unterschiedlichsten Gründen heraus nicht einer letztlich als atheistisch empfundenen Demokratie opfern wollen.

Hier verläuft im Moment eine blutige Linie zwischen den fundamentalistischen Machthabern in Iran und ihren Reformgegnern, die unter der Leitung von Mir Hossein Mussawi sich gerade letzteres fest vorgenommen haben: eine Versöhnung zwischen dem alten Glauben und einer modernen Staats- und Lebensform. Ahmedinejad, so weiß man, hält diese Versöhnung für unmöglich. Eigenartigerweise findet sich aber auch unter den radikalen Kritikern des Regimes im Iran eine Richtung, die ebenfalls nicht an eine solche Versöhnung glaubt und sich radikal als "Infidel Bloggers Alliance" im Internet zu erkennen gibt.

Auch in der Türkei ist die Frage einer solchen Versöhnung noch längst nicht entschieden. Die Regierungspartei glaubt daran, die laizistische Opposition meldet dagegen unter Berufung auf den Staatsgründer Atatürk Zweifel an. Außerdem gibt es nach meinem Eindruck in der Türkei ein breites Vorurteil gegen arabische Regierungen, welches ebenfalls zu einer Skepsis gegenüber demokratischen Möglichkeiten in den islamischen Kernstaaten führt. Auch hinter der Skepsis meiner deutschen Mitbürger, was den Erfolg der irakischen Demokratie betrifft, stecken sicherlich viele Vorurteile gegen Araber (die man moralisch hinter einer Entrüstung über Bush zu verstecken versucht).

Auf eine ganz eigene Weise muß auch Israel die Möglichkeiten einer Versöhnung zwischen Islam und Demokratie erwägen. In der Frage eines selbständigen Staates für die Palästinenser kommen dort nach meinem Eindruck die stärksten inneren Einwände aus dem tiefen Zweifel, daß dieser ja zwangsläufig moslemische Staat jemals demokratisch und damit in seinem Friedenswillen berechenbar sein kann. Die Nachbarn in Syrien und Ägypten und in einigen anderen Ländern scheinen außerdem jeder auf seine Weise die These der radikal konservativen und der radikal fortschrittlichen Menschen im Nahen Osten zu beweisen, daß Islam und Demokratie nicht zueinander passen.

Wo sind am Ende die Freunde der Versöhnung beider Denkweisen? Ich sehe sie überall dort, wo in der direkten Begegnung mit Moslems der tiefe Wille dieser Menschen erkennbar wird, ein selbstverständlicher Teil dessen zu sein, was etwas vereinfachend mit "westliche Welt" beschrieben wird. Es ist in Wirklichkeit ein geographisch nicht mehr eingrenzbarer Bereich, in dem die Menschen in zunehmendem Maße Zugang zu Möglichkeiten des weltweiten Austauschs haben. Zum Herrschaftsbereich dieser Welt sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr Menschen hinzugekommen, und andere warten darauf, in kürze zugelassen zu werden.



Ich sehe überall Moslems, die Teil dieser Welt sein wollen und sich dann auch - wie etwa die Türken in Deutschland - in hohem Maße zufrieden damit äußern, wie sie ihr Leben in dieser Welt gestalten können.

Diese Menschen wollen - außerdem - auch fromm sein, müssen es vielfach allein schon deshalb, um im Wirrwarr der Stimmen dieser modernen Welt die innere Stimme ihres eigenen Gewissens nicht zu verlieren. Diese Menschen könnten die Wegbereiter einer neuen, versöhnten Welt sein. Man muß ihnen nur die Tür öffnen und ihnen eine Chance geben, im Iran, im Irak, unter den deutschen Türken und überall.





* Eberhard Jügel, Hat der christliche Glaube eine besondere Affinität zur Demokratie?



S. 111 ... daß "der christliche Glaube die Gemeinschaft der glaubenden vom politischen Gemeinwesen und dementsprechend Kirche und Staat fundamental voneinander unterschieden weiß"



S. 377 "Unter den real existierenden Staatsformen ist die parlamentarische Demokratie diejenige, die den genannten Zumutungen mehr als jede andere entspricht."






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