Sonntag, 30. August 2009

Mehrsprachigkeit




Die Geschwindigkeit, mit der die Verkäuferinnen an der Fleischtheke im Kastelruther Spar-Markt zwischen Italienisch und Deutsch wechseln, legt ein schönes Zeugnis vom unproblematischen Nebeneinander der beiden Kulturen ab, die Südtirol prägen. Das ging nicht immer so gut wie heute. Die Italiener haben eine Zeit lang systematisch und fast gewaltsam versucht, jedem kleinsten Dorf einen zweiten, italienischen Ortsnamen zu verpassen, und die Südtiroler haben es ihnen durch den beständig geäußerten Wunsch vergolten, statt mit dem italienischen Süden lieber wieder mit dem österreichischen Norden vereint zu werden.

Mittlerweile hat sich die Spannung gelöst, man versteht sich als Europäer und sieht sich als wichtige Brücke zwischen den Kulturen. In Kürze soll eine neue europäische Region konstituiert werden, die aus Tirol, Südtirol und dem Gebiet von Trient besteht. Letzteres gehörte bis 1918 ebenfalls zu Österreich, wurde aber schon damals mehrheitlich von italienisch sprechenden Menschen bevölkert.

Die Berlusconi-Regierung in Rom muß dem noch zustimmen, aber das wird sie wohl tun, weil sich dadurch ohnehin nichts ändert. Auch viele meiner Landsleute im Rheinland sind Mitglied einer holländisch-belgisch-deutschen Region an Maas und Rhein, ohne deshalb weniger Deutsch zu sein als andere. Ich wußte davon bisher noch nichts, erfahre es jetzt aber beim Lesen der Dolomitenzeitung im Café „Exil“ am Kornplatz in Bozen (Foto).

Die Dolomitenzeitung ist sensibel für sprachliche Diskriminierung von Minderheiten. Deshalb unterstützt ein Leitartikel zum bevorstehenden Papstbesuch in Tschechien die Forderung der Sudetendeutschen, der Papst möge dort, in den alten deutschen Kernlanden, doch bitte seine Reden in Deutsch halten und nicht wie geplant in Englisch oder Italienisch.

Aus diesem Leitartikel spricht sicherlich nicht der gute Geist, der hier die Brücke zwischen den Kulturen baeuen hilft. Allerdings lebt aber auch der Verfasser unter dem komfortablen Schirm, den Europa selbst über solche Minderheiten spannt, die immer gerade so tun, als komme es ganz alleine nur auf sie an. In Europa darf jeder seinen Nationalismus und Regionalismus pflegen, so lange er das Ganze nicht in Frage stellt. Selbst die Basken, Bretonen und Iren mit ihrem großen Selbständigkeitsdrang ordnen sich diesem System am Ende mehrheitlich unter. Welche Wahl haben sie auch? Einen eigenen Staat zu gründen und dann für ihre Autobahnen selbst aufkommen zu müssen?

In einer eng vernetzten Welt wird echte regionale Autonomie schnell zu einem Nachteil. Und weil die nach Autonomie strebenden Volksstämme das wissen, kann man sie unbesorgt reden lassen – wie jetzt sogar die Kurden in der in die EU strebenden Türkei, die seit ein paar Wochen erstmals einen eigenen Fernsehsender haben. Als autonome Kurden kämen sie nie in die EU, das wissen sie, also kämpfen sie nur noch mit bestenfalls halber Kraft für ein paar ethnische Privilegien, die ihnen die Türkei im Gegenzug auch gerne gewährt.

Zu fragen ist, ob die Rahmenbedingungen für solche Freizügigkeiten ewig gültig bleiben. In der Finanzkrise der letzten Monate hat es sich für einige Staaten als nachteilig erwiesen, zu einer größeren, europäischen Einheit zu gehören, einem Universal Homogenous State wie ihn Francis Fukuyama in seinem End Of History von 1989 klassisch beschrieben hat. So wären die Griechen vermutlich besser mit ihrem alten Nationalsystem von Inflation und müdem Staat gefahren, da konnte sich jeder selbst retten. Jetzt muß man mitten im Niedergang auch noch europäische Kontrollen über sich ergehen lassen, damit kann man nicht so recht umgehen.

Wenn das Unwohlsein mit den Wohltaten eines Großstaates weiter wächst, wenn die Vorteile dieses Staates am Ende sogar entfallen, dann geht das alte Jeder-gegen-Jeden der Kleinstaaten wieder los. Genießen wir also die gegenwärtige Universal-Zeit, in welcher sich an der Fleischtheke in Kastelruth Italien und Deutschland friedlich miteinander vereinen


1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Wichtig ist wohl der Unterschied zwischen Minderheiten, die anderswo Mehrheiten sind (Italiener, Deutsche), und reinen Minderheiten (Basken, Bretonen, Cheyenne), noch schlimmer, Minderheiten, die es überall sind (Zigeuner). Nicht umsonst haben die Juden so blutige Anstrengungen unternommen. um von der einen in die andere Kategorie zu gelangen.

Daß die Türkei den Kurden gern Privilegien gewährt, soll wohl eine Aufmunterung in dieser Richtung sein.