Montag, 15. März 2010

Von der Generation Google zur Generation Apps




Mein Sohn Matthias, 22, hat mir vor etwa einem Jahr erklärt, was es bedeutet, zur Generation Google zu gehören. Wir fuhren über die A 1 von Remscheid nach Bielefeld, und ich wollte ihm, dem Neuling auf deutschen Autobahnen, das System der Autobahnen in diesem Abschnitt erklären. Drei Kreuze muß man sich in unserer Gegend merken, fing ich meine Lehrstunde an: das Westhofener Kreuz zur Sauerlandlinie (A 45), das Kreuz Unna zur Autobahn nach Kassel (A 44) und das Kamener Kreuz zur Autobahn nach Hannover (A 2). Matthias aber wollte davon nichts hören, das alles ließe sich bei Bedarf googeln, sagte er mir lapidar.

Zunächst habe ich lebhaft widersprochen, als er mir mehr zu seiner Mitgliedschaft in der Generation Google erklärte, aber später habe ich kluge Zeitungsartikel zu diesem Thema gelesen, die meines Sohnes Anfangsthese bestätigten: man lernt heute nicht mehr, um Wissen zu speichern, man sucht sich dieses Wissen ad hoc zusammen, wenn man es zur Arbeit an einer konkreten Aufgabe benötigt.

Natürlich ist die überspitzte Vorstellung von einer lernunwilligen Jugend, die sich ihr Wissen von Tag zu Tag googelt, um es dann gleich wieder zu vergessen, zunächst einmal nur eine plakativ formulierte Theorie. In der Praxis sehe ich Matthias nach wie vor hinter dicken Lehrbüchern arbeiten und freue mich dran. Aber es gibt doch offenbar zunehmend Überlegungen zu der Frage, welche Chancen und Risiken eine Generation hat, die sich jederzeit aus der unerschöpflichen Quelle des Internetwissens bedienen kann und sich zunehmend auch auf diese verläßt.

Eine der Chancen besteht in dem relativ leichten Gepäck, das man mit sich führt, wenn man sein Wissen nicht mehr aus Büchern und Seminaren beziehen muß. Eins der Risiken besteht andererseits darin, daß man am Ufer des großen Stroms der Informationen leicht den Eimer falsch einsetzt, der das herausfischen soll, was man gerade benötigt. Ich las bereits Erörterungen darüber, wieviel Mühe alleine schon das Problem bereiten kann, angesichts eines permanent auf mehreren Informationskanälen sendenden Computers die Konzentration zu finden, um auch nur eine einzige Internet-Recherche erfolgreich zu Ende zu führen.

Hier sind neue Kulturtechniken gefragt. Sie werden teilweise bereits im frühen Kindesalter trainiert, wenn etwa vor dem Fernseher die Konzentrationsspanne zwar systematisch verkürzt, das Filtervermögen dagegen aber gestärkt wird. Es gilt auch hier, um einmal altes Wissen zu zitieren, das (googlebare) Hölderlin-Wort Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

Denkt man an dieser Stelle weiter, so kann man sich vielleicht etwas konkreter vorstellen, wie die neue Generation in Zukunft ihre Lebensarbeit verrichten wird. Man darf vermuten, daß sie sich recht bald nicht mehr über die Methode definieren wird, mit der sie sich ihr Wissen beschafft, sondern eher darüber, wie sie ihre Probleme löst.

Sie könnte dann - so meine These - aufhören, Generation Google zu sein, und statt dessen, weil sie ihre Probleme nach der Philosophie lösen wird, die das iPhone ihr als das neue Problemlösungsgerät schlechthin vorgibt, zur Generation Apps werden. Das Sein, sagt Marx, bestimmt das Bewußtsein, um hier ein letztes Mal verstaubtes Bildungswissen anzubringen.

Apps sind die kleinen Programme, die auf dem iPhone wie ein aufgedecktes Kartenspiel erscheinen, wenn man das Gerät startet. Etwa 20 davon sind beim Kauf bereits vorhanden, bei mir sind in den ersten Wochen 23 weitere hinzugekommen, die ich mir im „App Store“ in Sekundenschnelle heruntergeladen habe, meist für € 0,79 (das entspricht den $ 0,99, die sie in den USA kosten), oft aber auch gratis und nur ein einziges Mal für teure € 3,75 (das kostete der wunderbare „Everyday Looper“, mit dem man Musikschleifen erzeugen und ganz allein ein ganzes Orchester einspielen kann).

Jede application löst ein bestimmtes Problem – ein Taxi in der Nähe zu rufen, einen Preis zu vergleichen, ein Musikstück zu identifizieren, die eigenen Schlafphasen zu analysieren. Das besondere an jeder application ist, daß sie für einen vergleichsweise geringen Preis das konzentrierte und auf dem aktuellen Stand gehaltene Wissen eines großen, allerdings konkret eingegrenzten Gebietes liefert. Und weil eine mittlerweile nach Millionen zählende iPhone-Gemeinde die Apps täglich auch millionenfach herunterlädt, lohnt sich der Aufwand, aufwendige Programme zu schreiben, Informationen vorzuhalten und das alles zusammen dann für nur wenige Pfennige pro Nutzer weiterzugeben.

Die Zahl der downloadbaren Apps ist laut Wikipedia innerhalb von nur 18 Monaten von 500 (Juli 2008) auf 140.000 (Januar 2010)gestiegen und täglich werden der Apple-Zentrale tausende neuer Apps von Programmierern in der ganzen Welt angeboten. Im April 2009 gewann der 13jährige Connor Mulcahey aus Eston in Connecticut einen Einkaufsgutschein über $ 10.000,-, nachdem er beim Billion-Apps-Countdown mit dem milliardsten Download identifiziert wurde. Mittlerweile sind schon wieder mehrere Milliarden Downloads hinzugekommen, 23 davon von mir.

Ich glaube nun also, daß diese kleinen fröhlichen Apps-Minikärtchen, die da auf dem Display erscheinen (und sogar tanzen können, wenn man in den Modus geht sie zu sortieren) unser Bild von der Art und Weise bestimmen werden, wie wir in Zukunft Problemlösungen angeboten bekommen werden. Was wir erwarten können, sind:
- von einem Fach unabhängige Lösungen (die Minikärtchen wollen ja nicht nach Geometrie, Wirtschaft, Organisation etc. sortiert werden, sie wollen einfach nur nebeneinander stehen),
- problemorientierte Lösungen (man sucht die Apps im App Store, indem man Stichworte wie Preis, Schlaf, Reise etc. eingibt),
- kleine Systeme (statt WORD mit seinen über 1.000 Befehlen könnte es ein einfaches Textprogramm geben und dann je ein App für spezielle Probleme dazu, etwa wenn man griechische Buchstaben einfügen will) ,
- preiswerte Programme (Dragon, das führende Spracherkennunsprogramm gibt derzeit, um in den Markt zu kommen, im App Store USA ein Basisprogramm gratis ab, das in Deutschland rund € 150,- kostet) .

Das alles wird die tägliche Arbeitsweise verändern. Man wird die Lösung für Konflikte im Wirtschaftsverkehr suchen, nicht den Juristen. Man wird die Sammlung über die Erfahrungen mit einer seltenen Krankheit suchen, nicht den Facharzt, der sie behandelt. Man wird die Vorschläge zur Beseitigung bestimmter Baumängel suchen, nicht den Sachverständigen. Und wenn man bei der Suche dann doch noch einmal auf einen der alten wise guys trifft, wird man ihm keine € 300,- pro Stunde mehr bezahlen wollen. Er soll bitte sein Wissen einfach nur breit zur Verfügung stellen und kann dann ja pro Klick auf seine Daten € 0,79 erhalten, das bringt ihm am Ende vielleicht sogar mehr ein als die Arbeit auf Stundenbasis.

Eine Befürchtung, die ich mit dieser schönen Welt verbinde, spreche ich aber auch gleich aus. Ein negatives Kennzeichen der Generation Google besteht schon heute darin, daß sie ihr Wissen nur noch mürrisch weitergab. „Google’s doch selbst“ war die Standardantwort, wenn man wissen wollte, wie die Hauptstadt von Ecuador heißt. Als Generation Apps wird sie nun auch die Bereitschaft, eine konkrete Hilfe zu leisten, auf das allernotwendigste beschränken. In der Küche helfen? Dafür gibt es doch sicher ein App


4 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Hallo Christian,

nachdem ich deinen Blog ja nun still und heimlich seit gewisser Weile verfolge, will ich den letzten Beitrag gern kommentieren. Mit Freude habe ich die wachen Beobachtungen gelesen, die in vielen Punkten das wiederspiegeln, was ich in meiner Generationen seit Jahren erlebe.

Ich zähle etliche schlaue Menschen zu meinen Freunden, die große Probleme damit haben, die europäischen Hauptstädte zusammenzutragen, die deutschen Bundeskanzler zu benennen oder sonstige als Allgemeinwissen betrachtete Fakten zu liefern. Ich selbst hätte z.B. arge Probleme die Verläufe von Rhein, Donau und Elbe zu beschreiben.

Dies hat sicher auch damit zu tun, dass ich bereits in den Anfängen meiner Schulzeit einen Computer zur Verfügung hatte, der in hoher Geschwindigkeit, sämtliche Fakten aus der digitalen Enzyklopädie Encarta hervorzauberte. Später kam dann das Internet und Google dazu. So lang meine Erinnerung reicht, war es immer wichtiger, Informationen zu Tage zu fördern als diese später noch einmal abrufen zu müssen (Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel).

Dass dies in krassem Gegensatz zum Wissensmanagement der vorhergehenden Generationen steht, wurde mir sehr früh bewusst: ich habe meinen Vater immer dafür bewundert, dass er Einzelheiten und teilweise ganze Passagen wiedergeben konnte. Ich nehme an, dass für ihn der Zusammenhang zwischen Suche und Speicherung der Information genau umgekehrt galt: Ohne Volltextsuche und Algorithmen zum Auffinden der relevantesten Quellen war es wichtig, einmal Gefundenes zu behalten. Diese Annahme wird durch die damalige Abhängigkeit von schwerer zugänglichen Texten (z.B. Bücher in der Stadtbibliothek) noch bestärkt. Quasi unendlich vervielfachbare digitale Datenquelle gab es vor 20 Jahren einfach noch nicht.

Um nun den Bogen zur Technik und ihrem Fokus auf die Lösung der Probleme zu schlagen, sollte man sich meiner Ansicht nach bewusst machen, dass die Anfänge der Rechenelektronik ja genau in diesem Ansatz begründet liegen. Es geht doch letztlich bei der Anwendung von Computern und ihren Programmen (im weitesten Sinne) immer darum, hohe Rechenkapazitäten auf die Lösung einer Frage anzuwenden. Die Durchdringung des Alltags mit Technik, erweitert dann nur den Kreis der lösbaren Probleme(-chen).

Das Ganze passiert zwangsläufig unter Zurückdrängung bekannter Problemlösungsmechanismen- insbesondere zwischenmenschlicher Kommunikation. Statt den Ortskundigen zu fragen, wo die sich die nächste nette Kneipe befindet, wird lieber die iPhone App befragt.

Dies mag durchaus Vorteile haben. Viele hast du auch bereits in deinem Text genannt. Allerdings drängen sich mir, mehr und mehr die Nachteile auf. So möchte ich gar nicht, dass mein Alltag von einer (scheinbaren) Effizienz bestimmt ist, die sonst nur im Büro verlangt ist. Für jedes Problem eine Anwendung? Ich bin doch bisher auch ganz gut klargekommen! Die Frage ist nämlich auch, ob es am Ende wirklich so viel effizienter ist. Zum einen gilt es zu bestimmen, welche Anwendung nun für welches Problem passend ist. Bis man sich dann in die jeweiligen Anwendungen eingefuchst hat, vergeht nochmals Zeit. Schon oft habe ich gedacht, dass es wahrscheinlich schneller gewesen wäre, jemanden nach dem Weg zu fragen, als umständlich im Navi herumzutippen.

[...Ende Teil 1]

Unknown hat gesagt…

[... Anfang Teil 2]

Ein weiterer wichtiger Punkt scheint mir der Verlust der Kommunikationskultur. Einige der größten Affronts im heutigen Miteinander sind den kleinen Begleitern geschuldet. Nicht nur finde ich es unhöflich, wenn mein Gegenüber im Gespräch auf seinem iPhone rumfingert, sondern ich traure auch jeder Unterhaltung nach, die durch Nachrichtenüberprüfung, Spielen oder anderen iPhone Funktionen nicht zu Stande kam.

Zu guter Letzt frage ich mich, ob die fortschreitende Durchdringung des Alltags mit intelligenten Programmen und die oben beschriebenen Auswirkungen auf den Umgang mit Informationen uns zu interessanteren Menschen machen. Ein ordentliches Gespräch und jede Diskussion basiert doch auch darauf, dass die Beteiligten auf ein gewisses Maß an Bildung zurückgreifen können. Ich jedenfalls möchte nicht mit jemandem sprechen, der in Echtzeit seine Argumente per Google zusammensucht.

Ich schließe – um meine Schwarzmalerei mit ein paar grauen Tönen zu durchmischen - mit einem per Internetrecherche hervorgetanen Marx Zitat:

„Du verstehst, my dear fellow, daß in einem Werke wie meinem, manche shortcomings im Détail existieren müssen.“ Und so freue ich mich auf deine Antwort!

KHS hat gesagt…

Zur ergänzenden Lektüre:
http://www.sliceofscifi.com/2010/03/31/can-apps-move-users-away-from-computers/

Christian Runkel hat gesagt…

Vielen Dank, Herr oder Frau KHS. Sind Sie zufällig mit Herrn Dr. Endleß verwandt?