Freitag, 21. Mai 2010

Meine 14 Jahre mit der Bombe





Am vergangenen Dienstag (18. Mai) wurde in der Innenstadt von Remscheid eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft, der Remscheider General-Anzeiger berichtete. Am Ort des Geschehens konnte ich heute im Gespräch mit dem Friedhofsgärtner Wörner, dessen Bagger auf die Bombe gestoßen war, Einzelheiten des Fundes erfahren und mir auch den genauen Fundort zeigen lassen.

Er liegt etwa auf der Mitte des obigen Luftbildes (grüner Pfeil) und nur 70 m von dem Haus Nordstr. 76 (mit A gekennzeichnet) entfernt, in dem ich bis 1963 gelebt habe. Die Bombe schlummerte 67 Jahre lang genau gegenüber von unserem Haus, so daß wir als Kinder aus dem Fenster immer auf den Bereich geschaut haben, wo man sie jetzt gefunden hat. Der Friedhof liegt etwas höher als das Haus und wird durch eine große Stützmauer abgefangen. Die Bombe hätte unser Haus vermutlich ab dem 1. Obergeschoß abrasiert.

Treffen sollte sie meinen Großvater Adolf Runkel senior und seine Frau Lieschen, im Jahre 1943 und zwar auf perfide Weise: die Bombe war mit einem Zeitzünder versehen, der sich erst einige Stunden nach der Welle der Spreng- und Brandbomben aktivieren sollte, die am späten Abend des 31.7.1943 hier in dem großen Angriff der Engländer auf Remscheid niedergingen und das Haus des Opas (Nordstr. 82) zerstörten. Sie hätte die Großeltern also beim Aufräumen getroffen.

Es ist allerdings nicht klar, ob die beiden damals etwa 50jährigen Großeltern in der Bombennacht, in der sie nach der Familienlegende eine große Zahl Häuser verloren, in Remscheid waren. Sie hatten eine kleine Ferienhütte auf dem Land, in Friedenberg bei Dhünn, und lebten während des Krieges teilweise dort.

Schwester Esther steuerte eine Geschichte bei, die sich tags darauf zugetragen haben soll, als die Großeltern kamen, um den Schaden zu besehen. Die Oma wäre offenbar gerne in das zerstörte Haus gegangen wäre, um ihr Kirschbaum-Herrenzimmer, ein Erbstück ihres Vaters, zu retten. Das soll ihr der Großvater mit den Worten "Geh nur. Ich werde dann meinen Söhnen erzählen müssen, daß ihre Mutter in dem zusammengestürtzten Haus ums Leben gekommen ist." ausgeredet haben. Die drei Söhne waren damals alle als Soldaten im Krieg.

Mir kam eine andere Erinnerung: der Keller von Haus 82 war in der Bombennacht stehengeblieben und diente nach dem Ende des Krieges der Familie H. aus Ostpreußen lange Jahre als Notunterkunft. Auf dem Keller entstand etwa 1947 unser sogenanntes "Kleines Häuschen" als Behelf, in das hinein zuerst ich (1949) und dann meine Schwester Sigrid (1950) geboren wurden und in dem wir das im Keller gesprochene Ostpreußisch mit der Muttermilch aufnahmen und zu imiteren lernten.

In diesem Keller war, so erzählte mein Vater, nach der Bombennacht als einziges Gut im Hause die Reihe der vollen Einmachgläser noch komplett unversehrt, was von meinem Vater, der das Eingekochte nicht liebte, als große Ungerechtigkeit des Schicksals empfunden wurde: warum macht das Unglück ausgerechnet vor dem weniger Begehrlichen halt?

Es gab weitere Geschichten um das zerstörte Haus Nordstr. 82. Es ging um Vaters reichhaltiges Spielzeug und um seine große Briefmarkensammlung, so wurde uns jedenfalls erzählt. Fast konnten wir damals meinen, wir hätten als Kinder einen ganz anderen Start ins Leben gehabt, wenn das alles unzerstört geblieben wäre.

Auf den Trümmern von Haus 82 entstand 1952 eine ganze Hauszeile, von denen die Häuser 76 – 86 heute noch im Besitz von Verwandten sind. Meine Eltern, seit 1948 verheiratet, haben mit unserer wachsenden Familie zunächst in dem behelfsmäßig errichteten "Kleinen Häuschen" auf den Trümmern von Haus 82 und dann ab 1952 in dem Mehrfamilienhais Nordstr. 76 gelebt, bis 1963. Das sind also bei mir 14 Jahre mit der Bombe.

Ich füge ein Foto vom Friedhof bei. Man sieht am unteren Ende des Gräberfeldes zwei blumengeschmückte neue Gräber und hinten das Dach der Nordstr. 76.


Im rechten der beiden neuen Gräber lag die Bombe - vor Erschütterungen zunächst sicher, weil in diesem Bereich ursprünglich ein Grünstreifen war. Die neuen Gräber wurden erst kürzlich parzelliert.






Keine Kommentare: