Dienstag, 21. September 2010

La douceur de la vie




Ein französischer Adliger soll um das Jahr 1800 herum gesagt haben, nach der Revolution von 1789 sei die Süßigkeit des Lebens, la douceur de la vie für immer aus der Welt verschwunden. Man kann nicht sicher sein, ob das wahr ist, aber richtig ist wohl, daß es das Leid der neuen, der nachrevolutionären Zeit ist, immerfort den angenehmen Seiten des Lebens nachstreben zu müssen, sich dem pursuit of happiness hinzugeben, zu dem man ja befreit wurde, und nie sicher zu sein, ob der Weg je zum Ziel führen wird.

Einig sind sich die Menschen allerdings über den Ort, an dem das Leben, wenn überhaupt, noch süß sein kann: ein schattiger Platz an einem warmen, blauen Meer, an dem auch am Abend die Luft noch lau genug ist, damit man im Licht des Mondes draußen auf der Terrasse den funkelnden Wein in den Gläsern genießen kann.

Ein solcher Ort liegt naturgemäß zunächst einmal am Mittelmeer, Médi-Terranée, dem Gebiet in der Mitte zwischen den Extremen. Nur hier findet sich an einem warmen Sommertag die Kombination aus mildem Licht, schmeichelnder Luft und einem Duft von Meer, der mit einer angenehm frischen Brise vom Strand hinauf geweht kommt.

Ich darf diese Süßigkeit derzeit genießen. Aber es war nicht immer so, daß ich mich dem besonderen Lebensgefühl, das sich in dieser Umgebung einstellt, ohne Einschränkung hingeben konnte. Früher habe ich mich vor dem Übermaß an Sonne gefürchtet, das sich hier ja immer wieder einstellen kann. Mir erschien damals die Gefahr, sich gegen einen Kälteeinbruch oder einen Regenguß schützen zu müssen, ungleich leichter überwindbar zu sein, als die Gefahr sich gegen stechende Sonne, heißen Wind und aufwallenden Schweiß wappnen zu müssen. Meine Sinne waren offenbar so eingestellt und geeicht, daß ihnen die Verteidigung zum einen Extrem, der Kälte, hin sehr viel einfacher war als zum anderen, der Hitze.

Die kurzzeitige Begegnung mit der Hitze hat aber, wie ich mehr und mehr lerne, etwas sehr Angenehmes. Sie läßt sich durch einen Schritt in den Schatten, in den Wind, durch ein kühles Getränk beenden, während etwa das Leben unter einem über Tage andauernden Regen bestenfalls durch die heroische Erinnerung an den Segen, den der Niederschlag für die Landwirtschaft mit sich bringt, von den deprimierenden Folgen grauer Wolken und trüber Tage befreit werden kann.

So werde ich im Alter mehr und mehr zu einem Menschen der südlichen Sonne, wenn auch vornehmlich in ihrer spätsommerlichen, milden Form. Es lebe der warme Wind vom Hafen hinauf, das Rauschen der Palmen, das Murmeln der Brunnen auf Marmorgestein!


Die Fotos sind alle aus Ajaccio: oben das Haus, in dem der Maler Matisse eine längere Zeit gelebt hat, in der Mitte eine mit Bougainvilleen geschückte Villa in der rue Scamaroni und unten die Altstadt, in der Napoleon seine ersten Lebensjahre verbracht hat.



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