Freitag, 23. September 2011

Frieden



Lieber N.,
unsere eMails der letzten 14 Tage zum Thema „Türkei und Israel“ haben ebenso meinen Urlaub ausgefüllt und bestimmt wie die Wanderungen, das Wetter und die vielen Dinge, die ich hier in Südtirol gesehen und über die ich teilweise in diesem Blog berichtet habe. Darum will ich auch – zusammenfassend und abkürzend – von unserem Gespräch erzählen und von dem Frieden, der für mich am Ende daraus entstanden ist.
Unsere Freundschaft ist ja von Anfang an mit dem Anspruch verbunden gewesen, daß man sie ansehen und nachmachen kann – der Deutschtürke und der Deutschdeutsche, ein Kunstwort, über das wir lächeln, an dem wir aber festhalten, wenn wir unser Verhältnis genau bestimmen wollen, der fromme Moslem und der in seiner Kirchengemeinde aktive Christ. Sie hat sich wunderbar leicht entfaltet, mit Übereinstimmungen auch auf glaubensmäßig komplizierten Gebieten, aber sie hat auch ihre Untiefen, und die gefährlichste davon heißt Israel.
Das war schon 2009 so, als Israel Gaza angriff und Du mich gedrängt hast, nicht einseitig für Israel Partei zu ergreifen, und das Ganze ist jetzt neu aufgelebt, nachdem die Türkei einen enormen Druck auf Israel aufgebaut hat, sich für die neun Toten bei der Besetzung der „Gaza Flotilla“ zu entschuldigen. Ich habe diesen Druck und die damit verbundenen Drohgebärden als unangemessen empfunden und habe Erdogans Erwähnung von Kriegsschiffen, die er schicken will, mit der „Kanonenbootpolitik“ des Kaisers Wilhelm vor 1914 verglichen und gesagt, daß man einen Krieg nicht durch stolze Worte und ein starres Bestehen auf eine Entweder / Oder herbeireden sollte.
Mittlerweile ist bekannt geworden, daß die türkische Politik durchaus flexibel war, und daß eine eingeschränkte Entschuldigungsformel für operative Fehler bereits ausgehandelt war. Netanjahu hat sie aber mit Rücksicht auf seinen konservativen Koalitionspartner Lieberman zurückgezogen.
Mein Vorwurf, Erdogan entwickle sich auf der Welle seiner wirtschaftlichen Erfolge zu einem zweiten Kaiser Wilhelm, ist also von diesem Punkt her nicht aufrecht zu erhalten.
Du bist in den ersten eMails diesem Vorwurf entgegengetreten und hattest also Recht. Du hast außerdem einen weiteren, schwierigeren Punkt aufgegriffen, über den ich lange nachgedacht und bei dem ich zu neuen Erkenntnissen gekommen bin. Du hast verlangt, daß ich als Person, daß aber auch die Deutschen allgemein, die Israelis schärfer als bisher für das Unrecht verantwortlich machen sollen, das täglich in Palästina, also in Gaza und in den Westbanks geschieht. Ich habe mich nicht grundsätzlich dagegen ausgesprochen, habe aber immer gewollt, daß auch das palästinensische Unrecht gleichzeitig genannt wird, daß die ganze Geschichte erzählt wird.
Das ist juristisch vielleicht korrekt, aber Dein Bestehen auf diesem Punkt und auch einige andere Eindrücke der letzten Tage haben in mir ein Umdenken bewirkt. Dazu gehört ein Interview, das ein etwas müde und wenig charismatisch wirkender Palästinenserchef Abbas vor wenigen Tagen in New York gegeben hat. Sein Volk wolle Frieden, hat er gesagt, und resigniert hinzugefügt, er sei allein, von Israel und den USA verlassen und enttäuscht. Aber er wolle Frieden. Was wäre, habe ich mich gefragt, wenn dieses Volk gar nicht mehr Recht und Unrecht gegeneinander aufwiegen will, wenn es nicht einmal mehr groß kämpfen will, sondern einfach nur sagt: so, wie es ist, kann es nicht bleiben.
Auch der Facebook-Kontakt zu einem palästinensischen Studenten aus Jenin hat diesen Eindruck verstärkt. Er hat seinen besten Freund durch eine israelische Kugel neben sich sterben sehen und weiß bis heute nicht, warum auf die damals noch jugendliche Meute, die vor den Israelis weglief, geschossen wurde. Aber er bohrt nicht tiefer, er sieht nach vorn und hat sich der Facebook-Initiative zum Frieden zwischen Israel und Palästina angeschlossen. Vor ein paar Tagen meldete er sich aus Tel Aviv, wo er an einem Microsoft-Seminar teilgenommen hat, das ebenfalls aus der Facebook-Initiative entstanden ist. Er war zum ersten Mal im Leben in Israel. Auch er will in Verhältnissen leben, die grundsätzlich anders sind, als die derzeitigen.
Ich glaube seither, daß der Ansatz für einen Frieden in Nahost tatsächlich über den Blick auf die nicht länger erträgliche Lage der Palästinenser gehen sollte. Wenn die Völkergemeinschaft hier etwas ändern will – Staatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung des Landes, offene Grenzen – dann wird sie Mittel und Wege finden, auch die Juden zufrieden zu stellen, die immer dann die Verhandlungen abbrechen, wenn auch nur ein Schatten auf das Existenzrecht Israels fällt. Wenn die Palästinenser Frieden wollen, dann ist damit die Existenz Israels als selbstverständlich vorausgesetzt.
Schließlich – über dem Frieden zwischen Israel und Palästina sollte ein größerer Frieden aufgehen, der Frieden zwischen der westlichen Welt und der Welt des Islams. Die Trennlinie zwischen dem Juden und Christen auf der einen Seite (USA, EU, Israel) und der muslimischen Umma verläuft zwischen Israel und Palästina, sie verläuft aber auch in millionenfacher Weise hier bei uns zwischen den Deutschtürken und den Deutschdeutschen wie Dir und mir, und mehr noch: für Menschen wie uns beide, die sich beiden Welten verbunden fühlen, verläuft sie manchmal mitten durch unsere Herzen. Mein größter Wunsch ist, daß an dieser Trennlinie Frieden wird. Deshalb war es gut, in diesen 14 Tagen über das alles geredet zu haben und am Ende zu wissen, daß der Friede trotz mancher Gegensätze bei Dir und mir längst begonnen hat.
Ich danke Dir für Deine Geduld, aber auch für Deine Hartnäckigkeit. Man braucht beides, um etwas zum Frieden hin zu bewegen.
Friede mit Dir, Salam, Schalom!
Dein Christian  

Keine Kommentare: