Mittwoch, 18. Januar 2012

Eine Begegnung der Dritten Art

Noch etwas von unserer ersten Reise, bevor morgen die neue Reise beginnt:
Qumran, 9.Januar 1999


Dies schreibe ich von einer windgeschützten Stelle in den Felsen oberhalb von Qumran. Die Israelean National Parks Authority hat hier einen Wanderweg angelegt, der sich wie ein Alpenpfad in die Berge hochwindet. Es ist alles genau wie in der Schweiz, sogar die Wegmarkierungen sind hier dreigestreift auf die Steine am Wegrand gemalt, nur dass der mittlere Streifen grün ist statt rot – und dass die Vegetation bereits kurz über der Talsohle aufhört.

Ich bin hier ebenso wenig schwindelfrei wie in der Schweiz, und so sind wir auch nur etwa fünfzig Meter weit ins Gebirge aufgestiegen, gerade soweit, dass man hinter einer Felsnase ein wenig Schutz vor dem kräftigen Südwind findet, der mittlerweile einige Wolken herangebracht hat und das im Tal liegende Jericho damit mehr und mehr in Dunst hüllt. Die jordanischen Berge stehen mächtig und grünblau auf der anderen Seite des Toten Meers – etwa wie das französische Ufer des Genfer Sees, von Lausanne aus gesehen. Von einem der Gipfel muss Mose seinen letzten Blick ins gelobte Land getan haben – mit viel Glauben, denn was man von dort  sieht, ist eigentlich nur ein Stück judäische Wüste, durch die wir heute Morgen – „es ging ein Mann von Jerusalem nach Jericho“ – im gleißenden Sonnenlicht bergab gefahren sind.

Qumran liegt unter uns auf einer Geröll- und Mergelterrasse, die sich wie ein Handrücken mit mehreren Fingern in die Ebene schiebt, ähnlich wie die Geröllhalden in den Alpen, aber nicht steil abfallend sondern auf der kahlen Hochfläche fast völlig eben. An den Fingerspitzen sind einige  der berühmten Höhlen, in denen zwischen 1947 und 1956 die Qumran-Schriftrollen gefunden wurden, andere müssen hier in der Nähe im Berg sein.

Die Lage des Ortes ist trotz der Wüstenlandschaft rings um das Tote Meer für eine Besiedlung günstig, denn in der Schlucht neben uns läuft in der kurzen Regenzeit Wasser aus den Felsen zu Tal, es kann mit wenig Aufwand aufgestaut und in Zisternen abgeleitet werden. Den Verlauf des Wassers aus dem Berg heraus kann man an einer kalkigen Färbung der Felsen gut erkennen. Das Wasser muss in gewissen Zeiten sogar stark kommen, denn es hat die Mergelterrasse an dieser Stelle bis fast auf Seehöhe durchschnitten und ein breites, glattes Flussbett ausgewaschen, in dem an diesem Tag tief unter uns einige Geländewagenfahrer einen idealen Spielplatz gefunden haben.

Zwei Leute kommen den Berg zu uns herauf gewandert, ein Mann und eine Frau. Hallo, sagt er, und mit Blick auf meinen Laptop: nice place to work! Er ist etwa 35 Jahre alt und könnte vom Aussehen her ein Arzt oder Lehrer sein. Ich sage, dass ich meinen Kindern eine eMail schicke, zeige dann auf die steilen Felsen und sage: take care, it´s very steep!

Er sagt: I know, I have been here before, und fügt hinzu: in my former life. Ich gehe auf diesen sehr ernst und fest gesagten Satz eher scherzhaft ein und frage ihn, ob er aufgrund dieser alten Kenntnisse denn auch etwas zu den vielen Bassins sagen kann, die die Archäologen in der Siedlung ausgegraben haben. Waren sie wirklich allesamt nur für rituelle Waschungen da?

Er kann es nicht sagen, so detailliert sei seine Erinnerung nicht, aber er könnte gerne andere Leute mit besserem Gedächtnis fragen, die ebenso wie er in einem früheren Leben hier als Mönche gewirkt haben. It was a healing place, sagt er, and it still is.

Er arbeitet als Psychologe in Jerusalem und lehrt seine Patienten die Worte Jesu, wonach man ohne Hass auf Vater und Mutter nicht zum Reich Gottes durchdringen kann. Er hat sie im Thomas-Evangelium gelesen und versteht sie so, dass man nur über die Abgrenzung, die radikale Selbstwerdung und den notwendig damit verbundenen Hass zur Liebe gelangen kann. Er sagt das allerdings sehr milde und freundlich. Die Liebe hebt am Ende den Hass auf, der Hass ist nur ein Durchgang, fährt er fort – sogar der Hass eines Menschen wie Hitler. Und dann erklärt er seine Theorie von der Würdigung des jüdischen und des deutschen Volkes, die beide durch eine höhere Bestimmung dazu ausersehen wurden, in dramatischer Form Opfer und Täter zu werden. Schuld gäbe es keine. Es war alles so bestimmt, um am Ende einer großen versöhnenden Liebe Platz zu machen.

Man habe, fügt er hinzu, mittlerweile zur Seele Hitlers Kontakt aufgenommen und erfahren, dass er seine Taten bereut habe. So könne man ihm vergeben. Yuval, so heißt mein freundlicher Gesprächspartner, bekennt sich zu Gedanken des New Age und zu einem vor zwei Jahren verstorbenen Rabbi Lobkow oder ähnlich, der die Wiederkunft des Messias als eine inwendig in allen Menschen sich vollziehende Veränderung vorausgesagt hat. Ich vertraue Yuvals Telefonnummer und die eines seiner Lehrer dem Laptop an, bevor ich den Deckel mit dem nagenden Angstgefühl schließe, dass eine einzige falsche Bewegung das Gerät ins tief unter uns liegende Tal abgleiten lassen könnte.

Ein winziger Regentropfen ist kurz vorher auf den Bildschirm gefallen, die Wolken haben sich verdichtet und ein kleiner Regenfall beginnt – selten und kostbar, aber wohl kaum ausreichend, um die Wüste jauchzen zu lassen.

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