Sonntag, 15. Januar 2012

Flugübungen mit Google Earth



Gerne würde ich auf dieser Reise das schmale Tal zwischen den beiden Bergen Garizim und Ebal im Norden Palästinas besuchen. Ich habe die Stelle in der Vorbereitung schon ein paar Mal mit Google Earth überflogen (siehe obiges Luftbild) und möchte jetzt nur zu gerne sehen, wie sich die Wirklichkeit darstellt. Im 5. Buch Mose erhält das Volk Israel von Gott die Anweisung, sich an dieser Stelle im Tal zu versammeln, um von den beiden Bergen links und rechts abwechselnd Worte des Segens und Worte des Fluchs zu hören.

Das Tal ist an dieser Stelle tatsächlich kaum mehr als 500 m breit, so dass es technisch möglich gewesen sein muss, hier ohne Zuhilfenahme von modernen Mikrofonen und Verstärkern einer großen Menge von Leuten etwas mitzuteilen. Man musste sich dazu an die Abhänge der beiden steil aufragenden Hörner von Garizim und Ebal stellen. Die "Zwölf Fluchworte vom Garizim" sind in 5. Mose 27 überliefert, wir mussten sie im Hebräischunterricht als heilige Worte der Juden übersetzen. Sie erschienen uns in ihrer drastischen Umkehrung der Aussagen des Gesetzes wie schwarze Negativabdrücke der hellen Zehn Gebote.
In diesen Fluchworten heißt es nicht mehr, dass man das Hab und Gut seines Nächsten nicht begehren soll, hier wird konkret der verflucht, der das alles missachtet und die Grenze seines Nächsten verrückt. Die Fluchworte sind harte Konkretion der eher allgemein gehaltenen Gebote. Allein drei der zwölf Fluchworte beschäftigen sich mit krassen sexuellen Verfehlungen, und wer denkt, ein Wort etwa wie "verflucht ist, wer bei einem Tier liegt", könne nur hinter vorgehaltener Hand und nicht in Gegenwart von Kindern ausgesprochen werden, wird in Josua 8 eines Besseren belehrt. Hier wird zum ersten und einzigen Mal von einer großen kultischen Volkshandlung zwischen Garizim und Ebal berichtet, und es wird ausdrücklich gesagt, dass alle von Mose gebotenen Worte ausnahmslos dem Volk mitgeteilt wurden, auch den Frauen und Kindern.
In späteren Zeiten versammelte sich das Volk nicht mehr am Garizim und am Ebal (auf dem zunächst wohl auch die Bundeslade stand), sondern folgte der Bundeslade über ihre Standorte in Bethel und Silo nach Jerusalem. Das vergessene Heiligtum an alter Stelle wird erst wieder durch einen Besuch von Jesus weltbekannt. Er macht auf dem Weg von Jerusalem zum See Genezareth an einem Brunnen Rast, der nur wenige 100 m unterhalb von der engen Talstelle liegt, an der sich das Volk versammeln sollte. Das Johannesevangelium berichtet in Kapitel 4 von diesem "Jakobsbrunnen", und die Christen haben schon vor Urzeiten hier eine Kirche über den Brunnen gebaut.
Das Schicksal dieser Kirche spiegelt das Schicksal des gesamten Landes wider. Die vier Vorgängerkirchen wurden teilweise in kriegerischen Auseinandersetzungen zerstört, einmal, 1927, aber auch bei einem Erdbeben. Nach einigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Juden und den griechisch-orthodoxen Christen, welche die vorletzte Kirche 1860 gebaut hatten, wurde erst in den letzten Jahren ein Neubau errichtet, der wieder von den griechisch-orthodoxen Christen unterhalten wird. Er enthält auch heute noch einen Brunnen in der Krypta. Das Wikipedia-Foto unten ist aus den 30er Jahren.
Es spricht einiges dafür, dass die Lage der Kirche  und des Brunnens dem Bericht aus Johannes 4 entspricht, denn in dem ungewöhnlich lang erzählten Dialog, der sich an dieser Stelle entwickelt, kommt das Gespräch auch auf das Heiligtum am Garizim. Das Volk von Samaria, auf dessen Gebiet der Garizim liegt, hatte das Heiligtum bereits lange vor Jesus Zeiten wieder reaktiviert, nachdem die Juden im benachbarten Jerusalem sie nicht mehr zum Gottesdienst im Tempel zugelassen hatten. Zu sehr hatte sich der aus dem Exil zurückkehrende jüdische Bevölkerungsteil von Samaria mit der einheimischen Fremdbevölkerung vermischt, um noch als wirkliche Juden gelten zu können.

Als die Frau aus Samaria, mit der Jesus hier spricht, die Frage nach der Bedeutung von Garizim und Tempelberg in Jerusalem stellt, entwickelt Jesus eine große Vision: in Zukunft wird Gott nicht mehr an festen Plätzen verehrt werden, sondern da, so würde man heute sagen, wo der Geist weht.
Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden.
(Johannes 4,23)
Jesus hat die den Juden verhassten Leute aus Samaria offenbar gemocht. In einem seiner berühmtesten Gleichnisse lässt er einen von ihnen die befreiende gute Tat tun, zu der seither alle Menschen aufgerufen sind: die mitleidende Handlung des barmherzigen Samariers. Samariter hat Luther übersetzt und das Wort tief in unser gemeinsames Unterbewusstsein gesenkt

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