Mittwoch, 25. Januar 2012

Palästina


„How do you like it?“ fragt mich Mohammad, als wir das Gartengrundstück seines Vaters Chalid mit dem großen, 1985 gebauten Haus darauf betreten. Ich sage: „It is like Istanbul 1971“, und erzähle ihm von meinem damaligen Bankpraktikum in der Türkei.  Und tatsächlich erinnert mich alles hier in Palästina, besonders das bunte Leben und Treiben am Taxibahnhof von Jenin, von dem aus wir unsere Fahrt ins Heimatdorf von Mohammad antreten, an die fröhlichen und für meine europäische Augen immer etwas chaotisch wirkenden Zustände in der damaligen Türkei.  
Ich möchte nicht darüber spekulieren, wie lange ein freies und international anerkanntes Palästina brauchen wird, um den enormen Entwicklungsweg zu gehen, den die Türkei bereits erfolgreich zurückgelegt hat. Ich will lieber von der Freundlichkeit und Güte der Menschen erzählen, bei denen wir zu Besuch waren. Aufgefallen ist mir besonders die warmherzige und entspannte Art, mit der die Mitglieder der Großfamilie miteinander umgingen. Chalid, der wenige Wochen älter ist als ich, und seine Frau Dalal, die etwa so alt ist wie Christiane, ließen sich von dem 22jährigen Mohammad, ihrem vierten Sohn, alles genauestens übersetzen, was geredet wurde, wobei deutlich heraus kam, daß besonders die originellen und manchmal zu anderen Themen leitenden Bemerkungen der  Mutter mit viel Lachen aber gleichzeitig auch mit großem Respekt aufgenommen wurden.
Dalal konnte uns lange nicht richtig einordnen, wobei die Ähnlichkeit der Worte „Almanya“ und „Ameryca“ wohl das Grundproblem war. Als sie wieder einmal beides verwechselte, schlug sie souverän  mit der Hand in die Luft und sagte auf Arabisch „Alles dasselbe!“ Ich habe ihr fröhlich zugestimmt. Mich nannte sie den „Hadschi“, weil hier in Palästina wohl alle älteren Männer, bei denen man  die Pilgerfahrt voraussetzt, so genannt wurden. Auch dagegen hatte ich keine Einwände.
Dalals Essen hatte den tiefen, vollen Wohlgeschmack, den Frauen an Gerichte bringen, die sie aus alter Gewohnheit immer wieder kochen. Ein wunderbarer Safranreis mit gerösteten Mandeln und Joghurt, knusprige Hühner, würzige Köfte-Bällchen und Salat aus Vater Chalids Gewächshaus, einem großen Zelt aus dünnem Stoff, das die Wärme offenbar gut speichert. „Bio!“ sagte er stolz und zeigte auf seine kleinen wohlschmeckenden Gurken.
Zwei Enkelkinder stießen kurz zu uns, Mohammads jüngerer Bruder Tarik, ein mit einer angenehmen ruhigen Freundlichkeit gesegneter Architekturstudent, setzte sich zu uns, es war ein kleiner glücklicher Kreis, dessen angestammte Höflichkeit offenbar vollkommen ohne Zwang von einer Generation zur anderen vererbt wurde.
Dass es hier gastfreundlich zuging, brauche ich nicht zu erwähnen. Erzählen sollte ich aber, dass kein böses Wort über Israel fiel. Vater Chalid hatte in früheren Zeiten in Tel Aviv gearbeitet, hatte Freunde dort und sprach ein wenig Hebräisch. Für den Frieden sah man viele Wege, es gäbe nur ein oder zwei Bedingungen, die aber alle für Israel akzeptabel seien. Jetzt müßten dort nur die richtigen Leute regieren und endlich den ersehnten Friedensvertrag verhandeln.
Kritiker werden in Jenin das Chaos auf den Straßen (und auch auf manchen Gewerbehöfen entlang der Straße) sehen und der Bevölkerung einen langen schweren Weg bis zum Erreichen „unserer“ Ordnung voraussagen. Optimisten sehen den inneren Zusammenhalt von Familien wie Chalids und die Wärme ihrer Häuser. Eine solche Wärme ist als Entwicklungspotential nicht hoch genug zu schätzen, weil sie den Wert des wichtigsten Gutes auf der Erde steigert: den Wert eines Menschen.

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Die Welt ist groß genug, um für alle Platz zu haben. Wenn man sie teilen will und kann. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Devise für den israelisch-palästinensischen Konflikt ist, gerechtes Teilen, nachbarschaftlicher Respekt, Toleranz des Anderen, Sicherheit und Nächstenliebe.Das alles basiert allerdings auf den Baustein Bildung und Dialog. Schafft man diese beiden Grundpfeiler durchzusetzen, ist der Frieden vorprogrammiert. Das ist für die übrige Welt nicht anders. 2 Weltkriege haben auf Europa getobt und jetzt haben endlich alle gemerkt, dass Kriege nichts als Tod und Elend bringen. So ist der neue Kontinent Europa entstanden. Sicher ein Modell für den nahen Osten.