Donnerstag, 6. September 2012

Nach Lodz


 

Lodz / Polen, 6. September 2012

Wer sich mit dem alten Lied im Kopf, das vom Theo handelt, der nach Lodz fährt, auf den Weg in diese Stadt macht, und holprige Straßen und klapprige Fuhrwerke erwartet, wird enttäuscht. Die etwa 350 km lange Autobahn von Frankfurt / Oder hierhin ist ein mustergültig gleichmäßiges Band, auf dem man wie im Traum daherrauscht, Tempomat auf 145 kmh eingestellt (140 ist erlaubt), vorbei an zunächst menschenleeren Waldgebieten im Osten Polens und dann später durch vereinzelt besiedeltes Land, wenn man sich Lodz nähert. So wirkt es jedenfalls, die Städte liegen nicht unmittelbar an der Autobahn.

Auf den Straßenschildern wird immer Warschau angegeben, aber auch Ternopol, noch weiter entfernt, und wie ich später nachlese bereits in der Ukraine, im alten Galizien. Diese Autobahn hat, so denkt man sich, eine schier unendliche Fortsetzung in den Straßen Zentralasiens, bis Sibirien und China kann man hier fahren, ohne eine einziges Mal das Meer zu sehen. Eine Fahrt quer durch die USA würde sehr viel schneller am Pazifik enden als eine Fahrt durch diese größte Landmasse der Welt, die hier vor einem liegt.


Aber zurück zu Lodz und Polen - das Land präsentiert sich mit dieser Autobahn ähnlich wie mit seinen Stadien der Fußball-EM als ein modernes Land, ein Eindruck, der außerdem durch viele andere Fakten unterstrichen wird – etwa die bleibend guten Werte, welche die polnischen Schüler bei PISA erreichen.

Ein Freund meines Vaters hat Lodz im II. Weltkrieg als Soldat erlebt und hat mir bei meinem ersten Besuch hier vor etwa 20 Jahre noch lebendig vom Hochmut der Deutschen erzählt, die im besetzten Polen ein Musterland für die Herrschaft der deutschen Rasse errichten wollten. Sie strichen zu diesem Zweck u.A. den polnischen Kindern den Besuch der Schule vom Programm. Die sollten einfache Arbeiten im deutschen Weltreich verrichten, mehr nicht. Solcher Wahnsinn war ein Verbrechen, und – um den Pariser Polizeipräsidenten Fouché aus Napoleons Zeiten zu einem anderen Fall zu zitieren – es war nicht nur ein Verbrechen, es war ein Fehler. Das zeigt PISA, das zeigt die Entwicklung von Lodz (mit 750.000 Einwohnern drittgrößte Stadt in Polen), und das zeigt eben auch die Autobahn. Also: hast Du nationale Vorurteile jeder Art, lieber Theo – dann fahr nach Lodz!
Ich bin seit vielen Jahren mit Leszek Wakula befreundet, dem Pastor der Baptistengemeinde hier. Der besagte Freund meines Vaters, Johannes Thomas, hatte Kontakt zu Lodz gehalten (seine Frau stammte von hier) und seine väterliche Freundschaft zu Leszek dann kurzerhand mir vererbt, unter Wegfall der väterlichen Komponente natürlich. Onkel Hans, wie ich ihn nannte, hatte mich etwa ein Jahr vor seinem Tod zu einer gemeinsamen Reise nach Lodz genötigt, und ich betrachte diese Reise als einen Glücksfall in meinem Leben.
Nun heiratet also Paulina, Leszeks 25jährige bildhübsche Tochter, und wir freuen uns, morgen dabei sein zu dürfen. Der Urlaub an den Mecklenburger Seen wurde unterbrochen, der Wohnwagen blieb dort, wir fahren Samstag nach Jabel zurück und dann Montag nach Hause, nach Remscheid.    

Keine Kommentare: