Donnerstag, 31. Januar 2013

Ferne Burgen

Kafr Malik, 21. Januar 2013

Israelisches Dorf in der Nähe von Kafr Malik
Vor meiner Reise habe ich hier im Blog ein paar Erwartungen und Vermutungen niedergeschrieben, von denen ich bereits damals angenommen habe, dass sie meine Reise nicht überstehen werden. So ist es auch gekommen. Mein etwas grobschlächtiger Vergleich mit zuwandernden Amerikanern und ortsansässigen Indianern stimmt nicht. In Palästina kämpft keine junge, überlegene Kultur wie die amerikanische gegen einen vorindustriellen Stamm von Jägern und Sammlern, wie den der Indianer.

Ich vermute aber trotzdem, dass sich im Westen, besonders in den USA, das fehlende Unrechtsgefühl gegenüber den „Siedlungen“, die ich bewusst in Anführungszeichen setze, aus genau der alten romantischen Vorstellung speist, die in dem israelischen Settler einen geistigen Verwandten der Europäer sieht, die im 18. und 19. Jahrhundert mit Pferd und Wagen auszogen, um die Kartoffel nach Idaho zu bringen und den Weizen nach Dakota, und zusammen damit den Willen zur Gewinnung bürgerlicher und glaubensmäßiger Freiheiten. Aber nichts davon trifft auf die Israelis zu, die hoch oben auf den Bergen wie in fernen Burgen wohnen und die das Land, in das sie gekommen sind, nur von weitem kennen.
Keiner von ihnen bearbeitet, beackert das Land, keiner bringt den Optimismus der israelischen Kibbuzniks mit, die nach 1945 Sümpfe trockenlegten und Wüsten zum fruchtbaren Land machten. Ein Teil von ihnen lebt von der Sozialhilfe, gefangen in einem Teufelskreis von orthodoxer Frömmigkeit, Freistellung vom Wehrdienst und Nichtzulassung zum Arbeitsmarkt. Man pflegt seine Frömmigkeit, das ist lobenswert, das haben die amerikanischen Siedler auch getan, aber die haben vorher erst einmal ein Tagewerk Prärie-Acker unter den Pflug genommen und erst dann die Bibel aufgeschlagen.

Ein anderer Teil nutzt die kurzen Wege hinüber in das geschäftliche Zentrum von Tel Aviv, pendelt morgens nach dorthin ein und freut sich, nicht mit den anderen Arbeitskollegen um die teuren Wohnungen im Großraum Tel Aviv kämpfen zu müssen.
Diese Menschen sind so wenig Siedler wie die Aachener, die in den nahen belgischen Grenzraum um Eupen und Malmedy umgezogen sind und dort bessere Wohnbedingungen und günstigere Steuern vorfinden. Diese Aachener wohnen dort aber auch nicht mit dem Anspruch, unter ihren Füßen verwandelte sich das Land in einen Teil der Bundesrepublik Deutschland.
Warum ziehen diese Pseudo-Settler nicht ein paar Kilometer nach Süden und besiedeln die Wüste südlich von Be‘er Scheva? Sie würden einen Traum des Staatsgründers Ben Gurion erfüllen, der mit seinem demonstrativen Umzug in einen Wüstenkibbuz alle fortschrittsbegeisterten Israelis nach Süden locken wollen. Der Grund für den Unwillen, dort im Süden eine Wohnung zu finden, ist profan: das Bergland nördlich von Jerusalem, durch das wir in den letzten Tagen gewandert sind, ist mit seinen oft an die 1.000 m hohen Erhebungen der einzige Ort zwischen Mittelmeerküste und Jordan, in dem es sich im Sommer einigermaßen gut aushalten lässt. Dagegen ist Be’er Sheva in der Sonnenglut eher so etwas wie die mexikanische Wüste jenseits des Rio Grande. Wer will da schon hin?
Mein Freund Avi Deul in Tel Aviv, der als säkularer Jude eher links ausgerichtet ist, vermutet, dass die meisten „Siedler“ im Bewusstsein leben, dass ihre Existenz im fremden Land nicht auf Dauer ist. Irgendwann wird man ihre Wohnungen in einen größeren Handel einbeziehen und den Palästinensern zurückgeben. Vielleicht werden einige auch bleiben – und schlicht und unauffällig leben wie die Aachener in Belgien. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber der Weg, den man jetzt eingeschlagen hat, macht keinen Sinn, weil er auf der Lüge beruht, es hier mit "Siedlern" zu tun zu haben.

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