Sonntag, 10. Februar 2013

Das Existenzrecht


Golan, 20. Janaur 2013

"Israel is a fake“, Israel ist eine Fälschung, sagt Falid, der etwa 30jährige Druse in Katzrin, dem Hauptort der 1967 eroberten Golanhöhen auf der Ostseite des Sees Genezareth. Falid leitet eine kleine Kantine für die Leute aus dem umliegenden Industriegebiet und öffnet sie auch für andere Besucher wie uns. Falids Eltern wurden israelische Staatsbürger, und so besitzt Falid ebenfalls einen israelischen Pass, möchte aber lieber heute als morgen auswandern. „Israel erzieht seine Kinder zur Desintegration“, sagt er, die Juden würden in dem Bewusstsein aufgezogen, etwas Besseres zu sein.

„If Israel was Serbia, we'd have bombed Israel into the stone age 30 years ago,” wenn Israel Serbien wäre, hätte wir es schon vor 30 Jahren zurück in die Steinzeit gebombt, schreibt Marc, der 43jährige Regierungsangestellte aus Washington, in einer hitzigen Facebook-Diskussion mit Israelis und Palästinensern. Er ist – zusammen mit jüdischen Freunden in den USA – der Meinung, dass Israel seine Machtposition missbraucht und sich mehr und mehr zu einem Unrechtsregime entwickelt.
Sein Argument, das sicherlich vielen Palästinensern aus der Seele spricht: ein Existenzrecht hat nur der Staat, der es sich verdient.
Warum höre ich diese Meinungen mit Bauchschmerzen? Als ein kurz nach dem Weltkrieg geborener Deutscher, dessen Volk eine lange, dunkle Geschichte mit den Juden hat, kann ich mich vermutlich besser in die Gefühle der älteren Israelis hineinversetzen, die um alles in der Welt das eine Wollen: dass die Existenz ihres Volkes an keine Bedingungen geknüpft wird, nicht an eine einzige.
Marc mag Recht haben – ein Unrechtsstaat verspielt sein Recht auf internationale Anerkennung, aber kann man das auf einen Staat beziehen, der sich zuallererst als Gemeinwesen eines Volkes versteht dessen Existenz zu allen Zeiten immer wieder brutal von außen in Frage gestellt worden ist?
Mit etwas Verwunderung habe ich den festen Willen einer ganzen Reihe von jungen Palästinensern erlebt, eines Tages die alte palästinensische Stadt Haifa von Israel zurückzufordern. Mein friedensbewegter israelischer Freund Avi hat entsetzt auf entsprechende Äußerungen verschiedener Leute in Facebook reagiert. Er hat es nicht gesagt, aber gedacht hat er es sicher: wenn solche Gedanken in großen Teilen des palästinensischen Volks lebendig sind, dann ist jeder Friedensschluss Betrug, weil er formell einen Status Quo festschreibt, den man heimlich am Ende doch wieder beseitigen will.
Und wenn der Wille zum Frieden in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, dann muss man –fürchterlicher Gedanke für den friedensliebenden Avi – dem israelischen Regierungschef Netanyahu Recht geben, der aus seinem Misstrauen den Palästinensern gegenüber heraus gar nicht erst mit ihnen redet und nur notdürftig versteckt die Annektierung der besetzten Gebiete betreibt.
Gibt es einen Ausweg? Unter rational denkenden Menschen ist eine Reihe von Strategien denkbar. Aber denken die Konfliktparteien rational? Nach meinem Eindruck tun sie das nicht, weshalb man den Weg über die Emotionalität des anderen gehen muss, um zum Ziel zu kommen. Ich denke hier an Hamze, der als junger palästinensischer Student das Holocaust-Memorial Yad Vashem besucht und die tiefe Verletzung der Juden verstanden hat. Das ist der Verstehensweg, den viele Palästinenser wohl noch vor sich haben. Und umgekehrt muss es vielleicht Israelis geben, die mit einem staaten- und rechtlosen Palästinenser einmal den erniedrigenden Weg durch die Check Points mit ihren Käfigen zu machen, um in die Seele des anderen zu schauen.
Und dann müssen Leute von außen kommen, die in Freundschaft ein ungeschminktes Bild von den heute möglichen Wegen zeichnen. Vielleicht können es die Türken, vielleicht können es die Türken und wir Deutschen gemeinsam. Und zu diesen Wegen gehört auf palästinensischer Seite die Bereitschaft zum Verzicht und auf israelischer Seite der Wille, die Palästinenser als Brüder anzuerkennen, deren Freiheit und deren Wohlergehen Staatsziel Israels sein müssen.
Haifa muss den Juden gehören und die Zukunft in einem eigenen freien Staat den Palästinensern.

 

 

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