Samstag, 2. Februar 2013

Mit Moads Augen


Jerusalem, 28. Januar 2013
Mit Moads Augen Jerusalem zu sehen heißt, sich erst einmal zusammen mit ihm und einer langen Schlange wartender Palästinenser durch die Rattenkäfige schleusen zu lassen, die durch die Check Points hindurch und nach Israel hinein führen. Um ein Haar gelingt das nicht, denn mein Mitwanderer Gerd versäumt es, den faul in ihrem Glaskasten herumlungernden israelischen Soldaten seine Karte zu zeigen, die er am Flughafen bei der Einreise als Ersatz für einen Stempel im Pass bekommen hat. I will not talk with you. Go back to Palestine! sagt eine junge Soldatin in ihrem Bürostuhl, halb im Liegen, die Beine wie ein Cowboy gespreizt. Moad redet Hebräisch auf sie ein, vergeblich.
Erst als sich aus der Gruppe der anderen Wegelagerer-Soldaten ein dunkelhäutiger Kollege einschaltet (Moad sagt später: vermutlich ein Palästinenser mit israelischem Pass), lässt sie sich herab, ihre Meinung zu überdenken. Mittlerweile ist auch die Einreise-Karte wieder da, und Gerd darf endlich durch.
Ich trete mit dem bitteren Eindruck nach Israel ein – Mauern und Stacheldraht überall um mich herum – dass an solchen Grenzen eine ganze Generation junger Israelis fürs Leben verdorben wird. Sie lernen dort, einen endlosen Strom von betreten blickenden Menschen an sich vorbeiziehen zu lassen und auf den einen einzigen hin zu durchforschen, der Sprengstoff bei sich hat und Übles im Schilde führt. Sie sind die Wachsamen, die Guten, die da draußen sind ein von Ungeziefer befallenes Volk, so muss es ihnen scheinen. Geschlagen wird hier gelegentlich auch, sagte mir Hamze, und wenn sich einer wehrt, wird er weggesperrt – ohne Rechte, ohne Möglichkeit, einen Richter anzurufen.
Wir fahren mit einem Bus durch die palästinensischen Wohngebiete Ostjerusalems bis in die Nähe des Damaskustors, das am Nordrand der Altstadt liegt. Wir betreten von hier die engen Gassen und Märkte des muslimischen Viertels und werden von Moad bald an eine schlichte Tür geführt, über die man einen der schönsten Aussichtspunkte der Jerusalemer Altstadt erreicht: das Dach des katholischen Gästehauses. Der 31jährige Moad ist schon als Kind an der Hand seines Vaters durch Jerusalem gelaufen und weiß, dass man an dieser Tür nur die Klingel betätigen muss, um in einen weitläufigen stillen Komplex eingelassen zu werden, in dem das von den Österreichern geführte Hospiz liegt. Vom Dach geht der Blick über den Ölberg, den Felsendom mit seiner goldenen Kuppel, über das jüdische und armenische Viertel bis hin zum Viertel der Christen mit seinen vielen Kirchen. Immer wieder ist man erstaunt, dass es hier in diesem engen Gewirr von Gassen keinen permanenten clash of civilizations gibt, sondern eher das Gegenteil, ein friedliches Zusammenleben.
Der Felsendom liegt zusammen mit der Al Aqsa Moschee auf dem alten Tempelplatz, auf dem Jesus gepredigt hat. Man muss durch einen speziellen Eingang hinein, der leider wegen der Mittagspause verschlossen ist. So gehen wir weiter in den Bereich der Juden und sehen sie an der Klagemauer, der Western Wall des alten Tempels, beten, reden und teilweise singend und tanzend Bar Mizwah feiern.
Moad liebt das Café Aroma vor dem Jaffator am Westrand der Altstadt, weil der politisch links stehende Inhaber der Aroma-Kette viele Palästinenser beschäftigt. Zwischen Theke und Küche wird je nach Belieben Hebräisch oder Arabisch hin und her gerufen, das hört sich an wie in den Straßburger Restaurants, wo man frei zwischen Deutsch und Französisch wechselt – nur dass sich die beiden semitischen Sprachen ähnlicher sind als die Sprachen der Germanen und Romanen. Ich kann, auch später im Taxi und im Bus zum Flughafen, nicht unterscheiden, ob Moad Hebräisch oder Arabisch mit den Leuten redet.
In der vornehmen Einkaufszeile Mamilla versucht Moad den Winterschlussverkauf zu einem Schnäppchenkauf zu nutzen, lässt es aber dann angesichts der immer noch hohen Preise lieber sein (seine schöne Winterjacke von Tommy Hilfiger erscheint mir allerdings auch keinen Ersatz nötig zu haben). Nach meinem Eindruck lieben die Palästinenser die beiden großen Städte Tel Aviv und Jerusalem sehr und würden sie wohl mitsamt ihren Einwohnern auch dann an ihrem Platz lassen, wenn sie die Macht hätten, die Juden zu vertreiben. Was wäre das ganze Land ohne die Wolkenkratzer von Tel Aviv, seine Schulen, Krankenhäuser und Universitäten und den mit Nobelhotels gesäumten Strand? Wo will man shoppen, wenn nicht dort?
Ein Palästinenser hat mir erzählt, dass er davon träumt, wie die eleganten Regierungsbeamten von Palästina und Israel sich in nicht allzu ferner Zeit mittags in den Cafés ihrer gemeinsamen Hauptstadt Jerusalem treffen. Ja, auch aus Jerusalem kann ein vernünftig denkender Mensch die Juden nicht wegdenken. Wer hält den gepflegten Standard der neuen Treppen und Steinwege  rund um die alte Stadtmauer aufrecht? Wer läßt die ultramoderne Straßenbahn fahren, die seit ein paar Jahren den Jerusalemer Westen mit dem Osten verbindet? An ihrem einen Ende schwingt sie sich über einen an einer Drahtseilharfe aufgehängten Schienenkreis wieder in die Gegenrichtung zurück. So etwas kriegen vorerst nur israelische Ingenieure hin.
Pilger tragen ei Kreuz über die Via Dolorosa
Diese Stadt macht auf ihre eigene Art und Weise die uralte Prophezeiung wahr, dass hier ein Bethaus für alle Völker sein soll (Jesaja 56, 7). Hier beten tatsächlich alle, und jeder betet auf seine Weise in Richtung auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nur dass sein Textbuch einige signifikante Unterschiede zu dem des anderen aufweist. Das geht alles reibungslos. Man muss allerdings jetzt ein wenig daran arbeiten, dass die Palästinenser, die hier bereits teilweise mit israelischem Pass leben, nicht als Menschen zweiter Klasse eingestuft werden. Darüber beklagen sich viele.
Etwas weiter westlich in Mea Shearim, dem Viertel der Orthodoxen, ist die Fremdheit, die wir als Christen in diesem etwas heruntergekommenen Quartier verspüren, vermutlich kaum anders als die Fremdheit des Moslems Moad. Die immer eilig und gesenkten Hauptes herumlaufenden Haredim nehmen von uns, den Gojim niemanden wahr. Hunderten von ihnen bin ich auf den Straßen Israels begegnet, nie hat es auch nur den Ansatz eines Augenkontaktes gegeben. Ich fotografiere sie nur versteckt (wie im Bild unten, wenn man es vergrößert, sieht man sie im Hintergrund).
Was machen diese rätselhaften Wesen auf dieser Welt? Erinnern sie sich daran, dass Gott ihrem Vorvater Abraham als erstes die Verheißung mit auf den Weg gegeben hat, dass er ein Segen sein soll?
Moad und Gerd
ä-barech-echa segnen werde ich dich, ve heje barachah und sein wirst du ein Segen, sagt Gott in 1. Moses 12,2. Lesen die heutigen Juden beide Worte als eines? Wenn ich sehe, wie sie die Palästinenser einmauern, zweifle ich daran. Aber ich vertraue dem alten Gott, dass er dieses Wort am Ende nicht als Imperativ, sondern als Indikativ versteht.
 

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