Samstag, 31. August 2013

Armenische Königreiche


Çamlıyayla, bei Tarsus


Die Burgruine Lambron (türkisch Namrun), an deren Fuß unser Hotel liegt, war für zwei Jahrhunderte eins der Zentren des christlichen Königreiches Armenien. Wir erstiegen sie heute Vormittag in der anfangs milden, dann aber immer heißer werdenden Sonne des Taurusgebirges. Wir fanden auf dem höchsten Punkt des schroff nach drei Seine hin abfallenden Burgberges zwei große steinerne Säle mit noch intakten Tonnengewölben und stellten uns vor, dass hier im Jahre 1190, etwa gegen Ende Juni,  Kaiser Friedrich Barbarossa als Gast erwartet wurde. Er befand sich auf seinem dritten Kreuzzug und hätte hier mit dem Prinzen und späteren König Lewon I. auf die Freundschaft und militärische Kooperation der beiden christlichen Könige anstoßen und einige anliegende Dinge besprechen können. Friedrich ertrank jedoch am 10. Juni 1190 im etwa 150 km entfernten Taursfluss Saleph (heute Göksu).
Die Armenier hatten nach 1045 ihr altes nördliches Königreich um den Ararat herum aufgeben müssen, auf der Flucht vor den aus Asien eindringenden Seldschucken, und hatten hier, am Mittelmeer und im Taurusgebirge, das sogenannte „Kilikische Königreich Armenien“ gegründet. Es hatte bis etwa 1375 Bestand und wurde dann teils durch innere Spaltungen, teils in den Konflikten der hier in immer neuen Wellen einwandernden fremden Völker aufgerieben.
Klingend sind die Namen der Herrscher, die hier gelebt haben – Lewon oder Leon erwähnte ich schon, Hetum, Thoros und Mleh sind weitere armenische Königsnamen. Bagratian war einer ihrer Vorfahren, das klingt mit seinem – ian am Ende sehr schön Armenisch, wie Gulbenkian, Petrosjan oder Karajan. Die Vornehmen des Landes sind um 1375, nach der Eroberung durch die Mameluken, nach Zypern und weiter nach Europa geflohen, die einfachen Leute sind geblieben, haben sich mit den neu eindringenden Völkern arrangiert  und bildeten später unter den am Ende siegreichen Osmanen die Kaste der reichen Leute in den kilikischen Küstenstädten Tarsus und Adana.
Lambron um 1900
Nach 1900, in den Unruhen am Ende der Sultansherrschaft haben sie die Partei der Jungtürken unterstützt, wohl in der Hoffnung,  in einem modernen westlichen Staat volle Bürgerrechte und eine Befreiung von der islamischen Sondersteuer für Nichtmuslime, der „Dhimmi“, zu bekommen. Sultan Abdul Hamid II unterlag den Jungtürken zunächst, gewann jedoch danach für  kurzer Zeit wieder die Oberhand und machte jede Art von Widersätzlichkeit in mehreren blutigen Massakern nieder, die im Jahre 1909 besonders in Adana tausenden Armeniern das Leben kosteten.
Zwar gelangten die westlich gesinnten Jungtürken wenig später endgültig an die Macht, doch die armenische Hoffnung auf gesicherte Bürgerrechte für die christliche Minderheit erwies sich als trügerisch. Die Jungtürken hatten in Europa ein streng nationales Staatsmodell gelernt, in dem für ethnische Minderheiten wenig Platz war. Mit den in der Türkei lebenden Griechen gelang ein teilweise gewaltloses „ethnic cleansing“ durch Bevölkerungsaustausch, bei den Armeniern geriet es aber auf fatale Weise außer Kontrolle. Die Umsiedlungen der Armenier, anfangs noch vom Roten Kreuz hilfreich begleitet, arteten 1915 in wilde Vertreibungen aus, bei denen auf den Todesmärschen in die syrische Wüste nach mittlerweile international anerkannten Schätzungen mehr als eine Million Armenier ums Leben kamen.
Meine türkischen Freunde reden verhalten über diese Vorgänge. Man möchte, so die offizielle türkische Linie, die Ergebnisse historischer Untersuchungen abwarten, um zu klären, inwieweit die Armenier zuvor eigene Gewalttätigkeiten angefacht hatten und entsprechend eine Teilschuld trugen. Ich fürchte, es wird wenig dabei herauskommen, und wenn am 24. April 2015 der „Rote Sonntag“, der Beginn der Armenier-Deportationen in Istanbul, sich zum hundertsten Male jährt, wird die Türkei zähneknirschend das Urteil der Völkergemeinschaft hören, das ziemlich einstimmig auf „schuldig“ lauten wird.
Gerne würde ich mehr über die Theorie von den verschwundenen aber nicht ermordeten Armeniern hören, die mir der alte Bauer erzählte. Ist sie im Unterbewusstsein vieler Türken vorhanden und entschuldet sie das nationale Gewissen – in gleichem Maße allerdings wie sie durch die Angst vor ewig wiederkehrenden Rachegeistern eine Belastung bildet? Die Stadt Tunceli, im Jahre 1937 Ort eines Kurdenaufstandes gegen die Türkei und eines ebenso blutigen türkischen Gegenschlags wie der von Adana 1909, soll nach den Armeniervertreibungen 1915 tatsächlich tausende Armenier aufgenommen haben. Was ist aus ihnen geworden?

Dieses Land hat viele Völker kommen und gehen sehen, hat die Geburt und oft den gewaltsamen Tod vieler Kulturen erlebt. Es ist Zeit, ihm Frieden zu wünschen.

 

 

Keine Kommentare: