Dienstag, 27. August 2013

Das Auge des Hammels


Uçhisar, Kappadozien

Ich habe mich mein Leben lang mit Freude an einen Tisch gesetzt, wenn ich wusste, dass das Essen aus einer türkischen Küche kam. Vielleicht hat mir ein alter Reiseführer aus den 60er Jahren geholfen, den richtigen Zugang zu dieser Küche zu finden, von der manche Menschen sagen, sie sei neben der französischen und der chinesischen die beste der Welt. In besagtem Reiseführer, den ich zur Vorbereitung meines Auslandspraktikums 1971 in Istanbul las, war auf altmodische Weise auf die vielfältigen Fremdheiten dieser orientalischen Küche hingewiesen worden. Es gab eine Reihe von Schilderungen, die schließlich in der Vorstellung gipfelten, dass man als Ehrengast eines opulenten türkischen Gastmahls eine pyramidenförmig geschichtete Platte mit Hammelfleisch vorgesetzt bekäme, auf deren Spitze als besondere Gabe für den Gast - ein Hammelauge liegen und den Gast mit der Aufforderung anblicken würde, es zu zerteilen und zu verspeisen

Ich erinnere mich, mit zwiespältigen Gefühlen in die Türkei gefahren zu sein. Einerseits wollte ich edelmütig und dem Fremden gegenüber aufgeschlossen wirken und das Auge mit Entschlossenheit essen, andererseits hätte ich es wohl kaum über's Herz gebracht, den Blick des Tieres standzuhalten. So bin ich mit dem ungelösten Problem im Koffer losgefahren, was ich denn nun tatsächlich tun würde, wenn der Fall X eintritt und das Auge des Hammels vor mir auf dem Teller liegt. 

Der Fall ist nie eingetreten, 1971 nicht, und auch später nicht, auch in anderen Ländern nicht. Es war gerade so, als ob unter dem Radarschirm, der für den einen einzigen Schreckensfall eingerichtet war, und der nur beim Erscheinen eines Hammelauges Alarm geben würde, eine wundersam wohlschmeckende Vielzahl von Gerichten, eins nach dem anderen auf den Tischen erschienen, die allesamt gut und oft exzellent waren - sie waren ja kein Hammelauge. Wenn man frei ist, alles zu Essen, geht man frei in jedes fremde Land und erlebt die wunderbarsten kulinarischen Dinge.

Später habe ich diese Geschichte vom Hammelauge auch meinen fünf Kindern weitergegeben, und sie sind alle fröhlich in der Welt herumgefahren, ohne die typischen Ekel-Berichte mitzubringen, die man sonst gerne von Reisenden hört. Gesegnet sei das Auge des Hammels! 

Nun möchte ich nur noch wissen, wie es tatsächlich schmeckt. Ich hörte von Franzosen, deren guter Geschmack für Essen sich unter Anderem daran schult, dass sie alle möglichen Innereien ausprobieren, Herz, Lunge, Gehirn etc., dass die Augen aus viel Eiweiß bestehen und deshalb wie Eier schmecken. Ich weiß aber nicht, ob ich es je ausprobieren werde - mittlerweile ist ja bekannt, dass man die englische "Mad Cow Desease" darüber bekommen kann. Davor möge mich mein Radarsystem weiter schützen.

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