Freitag, 23. August 2013

Kreatives Schreiben

Ankara

Die Sonne ging heute auf, als wir über Ungarn flogen, das Frühstück kam, als wir die bulgarische Schwarzmeerküste unter uns sahen. Unter der klaren, fischreichen oberen Wasserschicht des Schwarzen Meeres (das auch die Türken "schwarz" nennen, Kara Deniz - in schönem Gegensatz zum Mittelmeer, das bei ihnen Ak Deniz, weißes Meer heißt) lagert in der Tiefe eine tote Lauge, die sich aus den verfaulenden organischen Bestandteilen bildet, welche die hier mündenden großen Flüsse wie Donau, Dnjepr und Don mit sich führen und die das Ökosystem des Schwarzen Meeres nicht verarbeiten kann.

In der Nähe des Schwarzen Meers hat der kappadokische Heilige Gregor von Nazianz um das Jahr 350 am Flusse Iris (heute Yeşil iharta, der Grüne Fluß) ein Leben der Einsamkeit und Kontemplation führen wollen, wurde aber von den Kirchenoberen in die Verwaltung der kappadokischen Kirche beordert. Er entzog sich zunächst dem Befehl, hielt dann aber bei der letztendlichen Rückkehr eine im Altertum berühmte Predigt, in der er seinen Zuhörern die Freuden eines Lebens in der einsamen Anschauung Gottes und im Gegensatz dazu die Bitternisse eines kirchlichen Amtes darlegte.

Gregor war in einer vornehmen Athener Schule unter Anderem auch in Rhetorik ausgebildet worden. Das merkt man durchgängig in seiner Predigt, er verwendet für jeden Gedanken eine solche Vielzahl von Bildern und Beispielen, dass man sich beständig fragt, ob man das Ganze nicht wenige Sätze vorher schon einmal gehört hat.

Friedrich Nietzsche hat dem nordafrikanischen Zeitgenossen des Gregor, Augustinus, misstraut. Mir sind die Gründe entfallen, was Nietzsche dazu gebracht hat, aber es könnte auch bei ihm mit der rhetorischen Pracht zu tun haben,  die mich bei Gregor stört. Ich stelle mir vor, dass seine Athener Schule eine Art von Kurs in "Creative Writing" war und dass Gregor an einen etwas zu enthusiastischen amerikanischen Lehrer geraten ist.

Ich schließe, bevor man mir ähnliches nachsagt.
 

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