Sonntag, 8. September 2013

Christ unter türkischen Muslimen




Jesus in der "Apfelkirche" bei Göreme
Bekanntlich ist unter den Muslimen der  Vorname Mohammed sehr geläufig. Die Christen dagegen vermeiden es in der Regel (bis auf einige spanisch sprechende Völker), ihre Kinder Jesus zu nennen. Umgekehrt ist es bei den Muslimen nicht üblich, ihre Kinder „Moslem“ zu nennen. Entsprechendes tun nun wiederum die Christen – im deutschsprachigen Raum, indem sie ihren Kindern die schönen Vornamen von meiner Frau und mir, Christiane und Christian, geben.

Im türkischen kann das leicht zu Verwirrungen führen. Der Vater der Braut sagt auf meine Vorstellung „ich bin Christian" ein wenig abwehrend, „Ach, wir sind alle nur Menschen“. Er hat verstanden, „ich bin ein Christ“, Und ich muss mich korrigieren: „Nein, mein Name ist Christian“.
Am ersten Abend der Hochzeit werde ich im Wohnzimmer des Bauernhauses  von zwei sehr klugen Leuten intensiv nach meinem Glauben gefragt. Glücklicherweise übersetzt mein Freund Nureddin alles - und ist dabei manchmal so klug und auch so frei, meine Antworten um eigenes von dem zu ergänzen, was er aus den vielen Gesprächen mit mir schon früher einmal erfahren hat.
Die erste Frage ist gleich die schwerste: was ich vom Propheten Mohammed halte. Cevat, der Vetter aus dem Ministerium in Ankara, stellt sie. Ich male einen großen Baum auf ein Stück Papier mit langen, parallel nach oben verlaufenden Ästen. Die Wurzel und der Stamm, das sind die Juden. Der erste Abzweig sind die Christen, später gibt es einen weiteren, wenn sich Katholiken und Evangelische teilen. Der zweiter Abzweig sind die Muslime, auch sie später noch einmal gespalten.
Das gibt fünf parallele Triebe, wenn man will auch mehr. Wie sieht der Mann, der zum vierten Trieb gehört, auf den vom fünften? Wie sieht ein Katholik Martin Luther? Wenn er freundlich ist, wird er sagen: der war zu seiner Zeit notwendig, die Kirche hatte eine Reihe von Fehlern gemacht. Aber folgen will ich ihm nicht, ich folge anderen Glaubenstraditionen.
Können das auch die Christen über Mohammed sagen? Ich finde: es ist nicht verboten. Wenn ich dann allerdings weitergehe und das Eigene meines Glaubens darstellen will, dann komme ich gern zum Kreuzestod Jesu. Der hat laut Koran nicht stattgefunden. Jesus ist durch einen Stellvertreter ersetzt worden, der für ihn ans Kreuz gegangen ist, der Koran-Auslegung nach war es Judas.
Ich setze vorsichtig dagegen, dass nur durch Jesu Tod die komplette Fülle der Liebe Gottes verständlich und glaubhaft gemacht werden konnte. Und dann erzähle ich manchmal von der Begegnung mit einem frommen und gelehrten Moslem in Istanbul, der mir am Ende des Gespräches sagte, die Christen hätten das besondere Anliegen der Liebe, und die Muslime hätten das besondere Anliegen der Gerechtigkeit. Wenn beide sich gemeinsam anstrengen würden, ihre Anliegen in der Welt besser zur Geltung zu bringen, wäre der Welt geholfen.
Vor meiner vorletzten Türkeireise hat mir Friedel Pfeiffer, ein von mir sehr geschätzter Missionar unter deutschen Strafgefangenen, mit auf den Weg gegeben, ich solle meine Bibel mitnehmen und sie immer sichtbar neben mich auf den Tisch legen. Ich will ihn demnächst besuchen und ihm sagen, dass ich es nicht getan habe.
Ich will ihm auch sagen, warum. Die Muslime halten die Bibel für verfälscht und haben oft die gesamte Munition der modernen historisch-kritischen Forschung für Ihre Argumente im Kopf vorrätig. Aber dass Gott die Menschen liebt, das können und wollen sie nicht abstreiten, das gefällt Ihnen auch. Und dass er einen Menschen mit dem speziellen Auftrag in die Welt schickt, diese Liebe zu zeigen und zu erweisen, auch das gefällt ihm. Und dann ist es nicht weit, sich darüber zu unterhalten, dass dieser Mensch göttliche Eigenschaften hatte.
Das führt nicht zu einer Einigung bezüglich Jungfrauengeburt und Trinität. Aber es führt zu einem Verständnis dafür, dass die Christen eine warme und herzliche Sehnsucht nach der Zuwendung und Nähe Gottes haben.
Diese haben die Muslime auch, besonders wenn sie in der alten türkischen Tradition stehen, die immer wieder von großen Mystikern geprägt wurde. Am Ende übersetzt mir Cevat Gedichte des mittelalterlichen türkischen Mystikers Yunus Emre. Sie gefallen uns beiden. Es spricht viel dafür, dass zu Emres Zeiten noch viele christliche Klöster auf türkischem Boden existierten und dass man sich damals ausgetauscht hat. Von Mevlana Rumi, dem größten mittelalterlichen muslimischen Mystiker ist bekannt, dass er die Mönche in seiner Nachbarschaft gerne aufsuchte, um mit ihnen zu reden. Man sollte diesen Austausch fortsetzen. Menschen, die sich in ihrem Inneren auf Gott ausrichten wollen, haben sich immer etwas zu sagen.
Ob ein Moslem im Gespräch mit mir etwas von meinen Gedanken übernimmt, kann ich nicht beeinflussen. Aber was ich bewirken kann ist, dass er in meinen Worten und auch in meinem Auftreten und Verhalten ein wenig von der Liebe Gottes mitbekommt, so wie ich sie als Christ verstehe und erlebe. Dafür kann ich einen bescheidenen Beitrag leisten.

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