Sonntag, 15. September 2013

Getarnte Touristen


Natürlich wird es mir nie gelingen, mich so zu tarnen, dass ich im Ausland nicht als Tourist erkannt werde. Trotzdem tue ich einiges dafür, um so normal wie möglich durch eine fremde Stadt zu gehen. Dabei hat mir neuerdings die moderne Technik ein unerwartet hilfreiches Mittel zur Verfügung gestellt: die ins iPhone eingebaute Kamera. Früher trug ich als Erkennungszeichen des internationalen Touristen eine Spiegelreflexkamera „am Bande“. Man trug sie, alle trugen sie, und zwar trug man sie gerade so wie einen staatlichen Orden an Brust oder Bauch mit sich herum.


Lange Jahre hatte diese Kamera einen Film, später kam an seine Stelle ein Chip. Ich gebe zu, dass das Fotografieren durch einen richtigen Sucher mehr Freude macht und tendenziell auch bessere Ergebnisse bringt. Aber nachdem ich einige Jahre sowohl eine Spiegelreflexkamera als auch ein iPhone mit mir herumgetragen habe und zu Hause die Fotos des einen und des anderen Gerätes qualitativ kaum unterscheiden konnte, lasse ich die Kamera mit dem schwarzen Kasten jetzt in der Regel zu Hause. Vielleicht nehme ich sie wieder mit, wenn sie es lernt, die Bilder direkt per eMail weiter zu versenden (und mir vielleicht Google Maps in den Sucher zu befördern).
Das iPhone lässt sich relativ diebstahlsicher in der Hosentasche tragen und in Windeseile zücken. Und wenn es wieder in der Hosentasche zurück ist, fällt das schlimmste Malzeichen des Touristen, die Kamera vor dem Bauch, ganz von alleine weg.
Es gibt noch weitere Tarnungen. Eine Art Tarnkappe sind bei mir die mittlerweile fast vollkommen ergrauten Haare. Früher stach ich als blonder Schwede im Süden immer heraus, jetzt habe ich zumindest von der Haarfarbe einen hier durchaus marktgängigen und angepassten Ton.  Allerdings - der Rest des Gesichtes wird wohl auf ewig nie mediterran aussehen, aber da muss ich wohl einfach einmal zu einem Rest meiner Person stehen.
Meine dritte Tarnkappe sollte eigentlich die Sprache sein. Aber da stellt sich im Türkischen dieses aus dem tiefsten Inneren Asiens zu uns gekommene idiomatische System so quer, als sei es das Lieblingspferd des Dschinghis Khan und wolle ausschließlich vom Herrn und Meister persönlich geritten werden.  Die türkische Sprache „agluttiniert“, was vermutlich mit „glue“, Klebstoff, zu tun hat. Sie klebt Sätze, die bei uns vier Wörter oder mehr haben, zu einem einzigen Wort zusammen. Und dieses Wort rauscht am Ohr des Anfängers, aber auch des Fortgeschrittenen, wozu ich mich nach 42 Jahren Türkeireisen zähle, so vorbei, als fahre ein Schnellzug durch einen Vorortbahnhof. Das Wort „anlamadim“ etwa heißt „ich habe nicht verstanden“, wobei „anla“ das Verstehen bezeichnet, „ma“ die Verneinung, „di“ die Vergangenheit und das „m“ die 1. Person Singular.
„anlamadin“ mit dem „n“ am Ende heißt, „du hast nicht verstanden“, das geht noch so eben, will aber auch erst einmal herausgehört werden. „anlatmadim“ heißt wörtlich „ich habe nicht verstehen lassen“ oder einfacher „ich habe nicht erzählt“. Was „anlatdin“ ohne das verneinende „ma“ in der Mitte heißt, ist jetzt allen Lesern klar, oder*?

Aber jetzt: wenn mitten in einer Unterhaltung dann „anlatdim“ an dir vorbeirauscht, kannst du nie sicher sein, was du gehört hast und brauchst Sekunden, um eine Rekonstruktion zu versuchen. Diese Sekunden stehen aber wie in jeder anderen modernen Sprache nirgendwo zur Verfügung, weshalb man schnell verloren ist.
Zwar wundere ich mich oft, wenn ich Remscheider Türken in der Fußgängerzone begegne, wie viel ich von den Themen verstehe, die sie behandeln. Von „para“ ist die Rede (Geld), von „aile“ (Familie) und „çalış” (Arbeit), von “tatil” (Urlaub) und “çocuklar” (Kinder) – aber wer was mit wem und wo macht, das bleibt mir auf ewig verborgen, trotz aller Mühen. Es ist wie im schönen Douglas-Gedicht von Theodor Fontane “als ob ein Rauschen im Wald von alten Zeiten spricht.“

Nureddin / Necattin und ich
Schön wird es immer dann, wenn ein deutscher Türke dabei ist und übersetzt. Dann verstehe ich auf einmal auch vieles, was die Türken in Türkisch sagen. Am schönsten übersetzt Nureddin, der Freund meines Herzens. Er kann es stundenlang tun, ohne zu ermüden oder in seiner Aufmerksamkeit zu erlahmen. Ihm setze ich an dieser Stelle jetzt einmal ein Denkmal!

Durch viele Blog-Einträge der letzten Jahre ist er als Nureddin gewandert, gewissermaßen einem Künstlernamen. Nicht alles, was wir gemeinsam erlebt und gedacht haben, sollten alle unsere Nachbarn mit seinem Namen verbinden können. Jetzt verrate ich aber den wenigen treuen Lesern, die bis zum Ende ausgehalten haben, dass er im wahren Leben Necattin Topel heißt und Apotheker in Solingen ist. Ohne ihn wäre die ganze Reise vollkommen anders verlaufen - und vieles andere in meinem Leben auch.

 * du hast erzählt

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