Sonntag, 28. Dezember 2014

Der Tempel Salomos in Brasilien

Kirche Nr. 6 in meiner Internet-Kirchenreise zu acht Kirchen in fünf Kontinenten

Mitten in der Millionenstadt Sao Paulo erhebt sich eine moderne Nachbildung des historischen Tempels Salomo, mit 55 m fast doppelt so hoch wie die Christusstatue im konkurrierenden Rio de Janeiro. Diese Tempelanlage wurde 2014 in Gegenwart der Präsidenten Dilma Rousseff eingeweiht und bietet in ihrem gewaltigen Innenraum etwa 10.000 Menschen Platz. Man hat den ursprünglichen Tempel nach biblischen Vorgaben präzise nachgebaut und hat dafür Schiffsladungen von rötlichem Jerusalemstein über den Atlantik bringen lassen. Man hat sich dabei aber in den Ausmaßen nicht an das vergleichsweise bescheidene Original gehalten, sondern hat alle Längen- und Höhenmaße etwa im Verhältnis 4 : 1 vergrößert, das Volumen also 4 mal 4 mal 4, das heißt: 64fach gesteigert.

Edir Macedo
Hinter dem Projekt, das übrigens ein staatliches Zertifikat für besonders sorgsame Beachtung der Ökologie erhielt,  steht der millionenschwere Prediger und Unternehmer Edir Macedo, 69, und die 1977 von ihm gegründete Universalkirche des Reiches Gottes (Igreja Universal do Reino de Deus) mit weltweit etwa 8 Millionen Gläubigen. Zur Kirche gehören Radio- und Fernsehstationen, Tourismusunternehmen, Verlage für unterschiedliche Publikationen und auch eine Partei, die „Republikanische Partei“, deren Mitglieder im Parlament vertreten sind und sowohl in der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva ("Lula") als auch in der von Dilma Rousseff Minister hatte und hat.
In Brasilien sind die Mitglieder der verschiedenen oft pfingstlerisch geprägten evangelischen Kirchen längst hoffähig geworden, auch wenn die Präsidentin und die Bevölkerungsmehrheit nach wie vor katholisch sind. Eine der Konkurrentinnen von Dilma Rousseff bei der letzten Präsidentschaftswahl war die zur Assemblies of God, einer ebenfalls pfingstlerischen Kirche, gehörende Marina Silva.
Marina Silva
Diese 56jährige schmale Frau, hat einen bemerkenswerten Lebensweg hinter sich, der sie aus dem Urwaldgebieten bei Manaus, wo sie ihre Familie bei der Arbeit in den Kautschukplantagen unterstützen musste, in die Befreiungstheologie und die Gewerkschaftsbewegung führte. Mit etwa 40 Jahren hat sie, deren Gesundheit durch verschiedene Belastungen aus ihrer Kinder und Jugendzeit stark beeinträchtigt war, ein überraschendes Heilungswunder erlebt und zählt sich seither zu den Pfingstlern. Das hindert sie aber nicht daran, weiterhin (wie die meisten Brasilianer) eine eher rationale, linke Politik zu unterstützen. Ihre Lebenseinstellung hat also nicht in allem Ähnlichkeit mit der überwiegend konservativen Grundausrichtung der US-amerikanischen Pfingstler. Das soll allerdings nicht heißen, dass sie etwa den Bestrebungen zur Liberalisierung von Abtreibung, Ehescheidung und der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern rundum positiv gegenübersteht. Im Wahlkampf musste Frau Rousseff offenkundig einige liberale Gesetzesvorlagen mit Blick auf Marina Silvas Kritik daran, aber auch mit Rücksicht auf die pfingstlerischen Wähler der Dilma Rousseff unterstützenden „Republikanische Partei“ von Edir Macedo zurücknehmen.

Die Nachrichtenagentur Reuters hat während des Wahlkampfes im September 2014 einen kenntnisreichen Artikel über die delikate Balance zwischen linker Politik und wertkonservativen Einschränkungen geschrieben.
Von Edir Macedo kann man Predigten und Andachten im Internet nachlesen. Bemerkenswert ist seine immer wieder hervorgehobene Lehre vom Altar und vom Opfer. Es ist offenkundig, dass er von seinem Christen klare Einschnitte in Ihr persönliches Einkommen verlangt, der Zehnte wird als Regelabgabe erwartet, ein Mehrfaches der deutschen Kirchensteuer. Aber die Ermutigung, sein ganzes Leben als ein lebendiges Opfer anzusehen, ist mehr als das und umfasst nicht nur das Geld – es ist Sinnstiftung.
Ich fand unter den Andachten eine bemerkenswerte kurze Bibelarbeit über die Annahme des berühmten Brandopfers, welches der Prophet Elia auf dem Berg Karmel brachte. Anhand des hebräischen Urtextes versucht Pastor Macedo nachzuweisen, dass das vom Himmel herabfallende Feuer Gottes sanft und in gewisser Weise schonend auf das Opfer kommt. Das geschieht, sagt Macedo, damit sich die Menschen in der Gegenwart Gottes nicht erschrecken. Aus dieser Auslegung spricht eine große pädagogische Besorgnis, was die Hinführung zu einem in gleicher Weise majestätischen wie barmherzigen Gott betrifft.
Mich hinterlässt das Bild von dem gewaltigen, mit riesigen Spendengeldern finanzierten Tempelgebäude und der nachdrücklichen Lehre von Altar und Opfer skeptisch. Aber es gibt mir andererseits zu denken, dass Millionen von modernen, urbanen Menschen in Brasilien sich auf das Abenteuer eines Glaubens einlassen, der alles sprengt, was ein deutscher Normalchrist wie ich erlebt.

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Frohmann, aus Drohobyz gebürtig, hielt ein aus Fichtenholz, Papiermaché und Goldfarbe gemachtes Modell des Tempels Salomonis auf dem Schoß. Sehen Sie, sagte er, man erkennt jede Turmzacke, jeden Vorhang, jede Schwelle, jedes heilige Gerät. Und ich, sagte Aurach, beugte mich über das Tempelchen und wußte zum erstenmal in meinem Leben, wie ein wahres Kunstwerk aussieht. - Ein Traumbild, über den realem Mammutbau in Sao Paulo aber kann sich niemand beugen.