Donnerstag, 2. April 2015

Mallorca-Wanderungen (IV): George Sand und die Sünden von Facebook


Warum mag ich diese kurz nach der französischen Revolution geborene Früh-Emanzipierte George Sand, die
eigentlich Amantine de Francueil hieß und den sächsischen König August den Starken in ihrer Ahnenreihe hatte, so wenig leiden? Sie hat über ihren Winter auf Mallorca ein Buch geschrieben, das hier in Valldemossa an jeder Ecke zu kaufen ist. 1838/9 ist sie für drei Monate mit Frederik Chopin auf der Insel und längere Zeit in Valldemossa gewesen und hat in ihren Beschreibungen von Land und Leuten kaum ein gutes Haar an den Verhältnissen hier gelassen. Dass die Mallorquiner sich mit dem Verkauf des Buches einen schlechten Ruf machen und gleichzeitig gutes Geld verdienen, hat vermutlich den Charakter des Inselvolkes tief geprägt.

Aber Halt! Ich habe den letzten Satz gar nicht so gemeint, wie er nun da steht, ich habe nur einen der vielen George-Sand-Sätze imitiert, die einem das Lesen ihres Winters auf Mallorca verleiden. Wie sehen diese Sätze aus? Nun, sie zielen auf einen witzigen Widerspruch hin und bedienen sich auf dem Weg dahin eines vermeintlichen Wissens, das man in Wirklichkeit gar nicht haben kann - bei mir: Wissen um den "Charakter des Inselvolkes".

Über diesen Charakter kann man sicherlich erst nach sehr langen Studien etwas Verbindliches wissen und sollte sich vor schnellen Urteilen hüten. Aber gerade das will George Sand nicht. Im Gegenteil, an einer Stelle schreibt sie:

Es ist nicht notwendig, ein Volk - entgegen der landläufigen Meinung - aus eigener Anschauung kennengelernt zu haben, noch seine Gebräuche und Lebensbedingungen gründlich untersucht zu haben, um sich einfühlsam eine zutreffende Vorstellung von seiner Geschichte, seiner Zukunft, kurz von dem, was sein Wesen ausmacht, zu bilden.

Bewaffnet mit dieser Art von Einfühlsamkeit tritt George Sand an die Mallorquiner heran und urteilt etwa über den örtlichen Bauernstand:

Nichts auf der Welt ist so traurig und so arm wie dieser Bauer, der nur beten, singen und arbeiten kann und niemals nachdenkt.

Alles das kann sie selbstverständlich nicht wissen. Dass sie es trotzdem schreibt, verleidet mir ihr Buch.

Warum nun aber verbinde ich diese Art und Weise zu schreiben mit den Sünden von Facebook? Ich behaupte: weil es dort Tausende von kleinen George Sands gibt, die alle auf diesen einen Witz aus sind, und dazu die möglichst grob generalisierenden Schein-Erkenntnis benutzen, um humoristische Funken damit zu schlagen.

Ihren Ursprung haben solche Generalisierungs-Versuche (Vorsicht - hier kommt ein weiterer!) in dem neuzeitlichen Optimismus, dass man über eine grenzüberschreitende République des Lettres ein allen Menschen gemeinsames Wissen erzeugen kann, das in einem öffentlichen Raum verbreitet wird und deshalb allen zugänglich ist. Seitdem sich der Gedanke an den Raum dieser public sphere allgemein durchgesetzt hat, werden Sätze wie "die Deutschen legen zu wenig Wert auf nachhaltige Produktion" ohne Widerspruch hingenommen, obwohl niemand weiß, wie die Summe der Deutschen denkt, woran auch die Meinungsforscher, die Hohenpriester der public sphere, nur wenig ändern. Es kann alles auch ganz anders sein

Nun habe ich also einen weiteren generalisierenden Satz aufgeschrieben, aber ich tue es in der Absicht, gerade den modernen George Sands, denen ich immer wieder neu auf Facebook begegne, entschlossen entgegenzutreten. Einen davon habe ich besonders im Visier - und der könnte im Spiegel, den George Sand ihm vorhält, auch seine überschäumende Religionskritik wiedererkennen und vielleicht relativieren.

Die Sand sieht überall Inquisition, wenn sie spanische Kirchen und Klöster besichtigt, sie findet hinter den schönen Fassaden immer nur finstere Kerker. Sie freut sich über die in revolutionären Wirren erfolgte Teilzerstörung des Dominikanerklosters in Palma. Freiheit muss überall ausbrechen! Aber am Ende ist es bei George Sand nur die Freiheit, sich freche Annahmen über einfache Leute zu bilden, deren Leben man nicht versteht.

Nein, der Respekt vor der Vielfalt menschlichen Lebens verbietet jedes schnelle Urteil über das Denken, Handeln und auch über den Glauben anderer Leute. Die Arbeitsweise der George Sand gehört zur Mottenkiste der Aufklärung und sollte nicht immer aufs neue hervorgeholt werden.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Ach, Christian,
ist das nicht interessant, wer im Geiste alles mit Dir mitreist! - Aber schön, dass Du so treu an uns denkst - und uns so schön an allem teilhaben lässt!

Peter Oberschelp hat gesagt…

... die Deutschen legen zu wenig Wert auf nachhaltige Produktion: Einschlägige Analysen werden sich in keinem Fall um den Inhalt der Köpfe der Einzelnen kümmern. Wenn man formuliert: In Deutschland ist die Produktion zu wenig nachhaltig, verschwindet das Problem. Aus meiner Sicht sind derartige metaphorische Verschiebungen akzeptabel und werden auch richtig verstanden.