Dienstag, 31. Mai 2016

Oslo


  
500 Kroner, etwa € 50,-
Das erste, was man als Deutscher über die norwegische Sprache lernen muss: nicht jedes deutsche "O" ist automatisch ein norwegisches "Ö". Ein Glas Wein kostet 100 Kroner  nicht "Kröner", und man muss schon zum weltbekannten Smørrebrød übergehen, um in den Genuss eines richtig skandinavischen Øs zu kommen. Das "U" wird wie in Frankreich als "Ü" gesprochen, und wenn etwas als "U" klingen soll, schreibt man es "O". Die Hauptstadt heißt also eigentlich Uslu, Uslu in Nurwegen. Ich übertreibe etwas.

Dass die Kroner nur jeweils etwa zehn Cent wert sind, lässt den Euro-Reisenden beim Anblick von Speisekarten mit dreistelligen Preisen erst einmal erschrecken. Ein Glas Wein kostet tatsächlich 100 Kronen und mehr - ein Preis, der leider auch dann seinen Schrecken behält, wenn man ihn korrekt durch 9,3145 teilt, das ist der derzeitige Kurs der Krone zum Euro. Oslo ist teuer, so hatte man uns gewarnt.

Oslo ist auch puritanisch, das bekamen wir zu spüren, als wir an einem Sonntagabend in einem kleinen Supermarkt Alkohol kaufen wollten. In den ansonsten gut gefüllten Regalen fanden wir nichts als Bier, und als ich drei Flaschen davon zum Bezahlen an die Kasse brachte, wurde mir der Kauf verwehrt - am Sonntag sei nur der Verkauf von "leichtem" Bier mit maximal 2,5 Alkoholprozenten erlaubt. An der Kasse stand eine Runde von Leuten, die mein Missgeschick freundlich belächelte. "So, this is a Muslim country?", fragte ich, und alle nickten mir bejahend zu. In Istanbul will Erdogan ähnliche Gesetze einführen, und viele säkular gesinnte Türken wehren sich leidenschaftlich dagegen.

Vorstädte und der Fjord
Die Gegend um Oslo ist vergleichsweise flach, es fehlen die sonst für Norwegen so typischen schroffen Felsen. Die etwa 20 Minuten dauernde Bahnfahrt vom Flughafen in die Stadt hinein verläuft durch grüne, leicht gewellte Wiesen, ein Land, das dem Allgäu ähnlich ist oder vielleicht sogar meiner eigenen Heimat, dem Bergischen Land.

Überraschend sind zu dieser Jahreszeit die endlos langen Sonnenuntergänge und die dann folgenden relativ hellen Nachtstunden. Um 4 Uhr morgens ist im Mai und Juni die Nacht zu Ende, bei wolkenlosem Himmel scheint bereits um diese frühe Stunde die Sonne hell und kräftig ins Fenster hinein.

Blick von Burg Akershus auf den Fjord
Oslo ist eine sehr schön gelegene Stadt. Auf den großen Landkarten liegt sie an der Spitze einer V-
förmig zulaufenden Bucht. Tatsächlich liegt die Stadt aber etwa 40 km landeinwärts, an einem langen, nordwärts verlaufenden Fjord, der an seiner Mündung vielleicht etwa 6 km breit ist und dann schmaler wird. Er endet in einer großen Schleife, an deren Scheitelpunkt sich die Stadt befindet. Das Wasser kann von großen Schiffen befahren werden, es lag aber flach und still wie ein oberitalienischer See vor unseren Augen, mit unregelmäßigen Ufern und kleinen bewaldeten Inseln.

Strategisch liegt die Stadt so günstig, dass ihr alter Festungskern, die Burg Akershus nur ein einziges Mal in ihrer langen Geschichte eingenommen wurde, im April 1940 von Hitlers Besatzungstruppen.

Haakon VII
Das staatliche Leben der Norweger ist von jahrhundertelangen Allianzen mit Schweden und Dänemark geprägt. Erst im Jahre 1905 erlangte Norwegen seine Unabhängigkeit und bestimmte einen dänischen Kronprinzen zum König - Haakon VII. Er regierte bis 1957 und machte sich als mutiger Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung einen Namen. Sein Sohn Olav V. folgte ihm bis 1991 und machte dem heutigen König Harald V. Platz. Die nächste Generation steht schon bereit – in Person des Kronprinzen, der wie sein Urgroßvater ebenfalls Haakon heißt.

Ole Paus
Wir waren zu einem zweitägigen Seminar eingeladen, das in diesem Jahr zum Anlass des 200ten Jubiläums der norwegischen Bibelgesellschaft in Oslo, an der "Fjellhaug Internasjonale Høgskole" stattfand. Am Wochenende veranstaltete die "Bibelselskap" ein schönes Festprogramm mit einer großen Musikveranstaltung im "Konserthus". Moderiert wurde sie von der Sängerin Hanne Krogh, die im Jahre 1985 mit dem Lied "Lat det swinge" den europäischen Grand Prix de la Chanson gewonnen hatte. Für die Norweger bestand der Höhepunkt des Abends aber wohl in den Liedern von Ole Paus, einem 69jährigen Barden, der in der Tradition der Troubadoure singt und für deutsche Ohren einige Anklänge an Reinhard Mey, aber auch an Bob Dylan hat. Später las ich, dass sein Lied Mitt Lille Land ("Mein kleines Land", norwegischer und deutscher Text siehe unten im Anhang) eine Art zweite norwegische Nationalhymne geworden ist.

Ole Paus hat sich vor vier Jahren zur Überraschung vieler Leute zu seinem christlichen Glauben bekannt und trug an diesem Abend u.A. eine eigene, etwas krächzende Version von "O Holy Night" vor, die er mit einem neuen norwegischen Text versehen hatte. Meine norwegischen Begleiter lobten die Poesie dieses neuen Textes über alle Maßen. Der bekannte norwegische Tenor Thomas Ruud hatte vorher zusammen mit einem großen Chor das Original in klassischer Weise vorgetragen.


Beeindruckend war eine Version von "Jesu Namen nie verklinget", die wir gleich zweimal zu hören bekamen. Zuerst erklang sie im Konzertsaal, wo das gesamte Publikum aufgefordert war, das Lied mitzusingen und dies auch auf eine wunderbare Weise tat, so wohlklingend wie ich sie nie zuvor gehört hatte. Und fast noch schöner klang es dann am nächsten Tag im Festgottesdienst im Osloer Dom, auch hier ein großer, spontaner Chor des Kirchenvolkes, dessen vollkommen reine Stimmen mich überraschten.

Das Lied ist nach einer Melodie aus Afrika zuerst in Norwegisch entstanden („Navnet Jesus blekner aldri“, 1923 von David Welander verfasst). Es hat von Norwegen aus seinen Zug um die Welt angetreten.

Im norwegischen Original vermeidet der Text offenbar die altmodischen Anklänge von "klinget", "bringet" und "ewiglich", die das deutsche Original altbacken wirken lassen. Die Norweger sangen ihre Version so frisch und jung, als ob sie gestern erst entstanden wäre. Die Begleiter an E-Piano und an der Orgel taten ein Übriges und schmückten das Arrangement mit interessanten Akkorden aus. So schön hatte ich das Lied in Deutschland noch nie gehört.

Ich habe ein Volk kennen gelernt, das es a) mit dem Alkohol vorsichtig hält und das b) die alten Lieder mit großem Respekt singt. Man lernt daraus: wer sich nicht scheut, gelegentlich auch etwas abgetragene Schätze wie "Amazing Grace" (im Konzerthaus und in der Kirche wurde es gesungen, immer in Englisch) und etwa auch "Go Down Moses" hervorzuholen, dem gelingt dann auch die Sister-Act-Version von "Joyful Joyful Lord We Adore Thee" auf vollkommen perfekte Weise.

Vielleicht fahre ich noch einmal nach Norwegen zurück – einfach um mit den Leuten zu singen.



Mein kleines Land
Ein kleiner Ort, eine handvoll Frieden
Ausgebreitet zwischen Hochebenen und Fjorden

Mein kleines Land
Wo hohe Berge gepflanzt sind
Zwischen Häusern und Menschen und Worten
Und wo Stille und Träume wachsen
Wie ein Echo auf karger Erde

Mein kleines Land
Wo das Meer sanft und weich streichelt,
Wie eine Liebkosung von Küste zu Küste

Mein kleines Land
Wo Sterne vorbeigleiten
Und zu einer Landschaft werden, wenn es hell wird
Während die Nacht blass und still ist



Mitt lille land
Et lite sted, en håndfull fred
slengt ut blant vidder og fjord

Mitt lille land
Der høye fjell står plantet
mellom hus og mennesker og ord
Og der stillhet og drømmer gror
Som et ekko i karrig jord

Mitt lille land
Der havet stryker mildt og mykt
som kjærtegn fra kyst til kyst

Mitt lille land
Der stjerner glir forbi
og blir et landskap når det blir lyst
mens natten står blek og tyst


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