Mittwoch, 16. November 2016

Reise ins Heilige Land (I): Mit muslimischen Augen sehen



Mein Reisebegleiter und Freund Nureddin wollte immer schon einmal nach Jerusalem, um am zweitheiligsten Platz der Muslime, der al-Aqsa-Moschee zu beten. Ich wiederum wollte noch einmal meine Freunde aus den Wanderungen auf dem Abrahamsweg sehen, und so wurde unser Plan geboren, eine gemeinsame Reise nach Israel und Palästina zu unternehmen.

Schon am ersten Abend wurde mir klar, dass ich mit der Hilfe von Nureddins muslimischen Augen sehr viel mehr sehen würde als nur mit meinen eigenen. Er hat eine ganz eigene Antenne für das muslimische Leben in Israel. Gleich zu Beginn unserer Reise erlebten wir in der alten palästinensischen Staat Jaffa gemeinsam das etwas zurückgebliebene Leben, das man an vielen Orten des Mittelmeers wie eine Erinnerung an alte osmanische Zeiten erleben kann. Die Straßen in der Altstadt sind eng, die Häuser sind in einem manchmal nicht mehr allzu guten Erhaltungszustand und die Strom- und Telefonkabel sind über die Fassade geführt. Aber die Gerüche aus den Imbissständen und den Restaurants und die Geräusche aus den Geschäften sind einladend und verheißungsvoll.

Wir hatten ein Zimmer in der Nähe des zentralen Uhrenturms und benötigten nur ein paar Schritte, um am Abend zum Strand und von dort hinauf zur Zitadelle zu gehen. Dort bietet das Restaurant "Aladin" einen wunderbaren Platz mit Blick auf das hell erleuchtete Tel Aviv und auf das Meer.

In dem von Muslimen betriebenen Restaurant wurde deutlich, dass Nureddin bei den muslimischen Bewohnern Israels und bei den Palästinensern in den West Banks besser ankommt als ich. Man ist zunächst immer ein wenig erstaunt, wenn wir uns beide als Deutsche vorstellen, dann aber an unserem Vornamen erkennbar wird, dass ich ein Christ bin, und Nureddin ein Moslem ist. Zwischen ihm und den anderen Muslimen ist dann immer gleich eine Wärme da, um die ich ihn ein wenig beneide.

Die Umma, die große Familie der Muslime hält zusammen, man erkennt sich im Anderen wieder. Nureddin hat diese Erkenntnis immer wieder. Wenn er sich in muslimischen Gebieten umschaut, sagt er häufig, "Das ist doch genauso wie in Izmir!"

Aber nicht nur unter den Muslimen (von denen es auch in Israel viel mehr gibt als ich bei meinem früheren Reisen beobachten konnte), sondern auch in Israel gibt es viele Zeichen eines orientalischen Brauchtums, die Nureddin gut gefallen. Die Frauen sind auf manchmal ganz ähnliche Weise mit Kopftüchern geschmückt wie in der Türkei. Nureddin fragt sich immer wieder verwirrt, was für eine Frau da vor im hergeht. Eine Muslima? Oder doch eine jüdische Frau? Oder vielleicht gar eine russisch-orthodoxe Christin? Man muss schon genau hinsehen, um die Unterschiede zu erkennen. Jedenfalls ist es in diesem Land erheblich einfacher, äußere Zeichen einer Religions- oder auch nur einer einfachen ethnischen Zugehörigkeit zu zeigen als in Deutschland, wo bei manchen Leuten jedes Kopftuch Verdacht erregt.

Wenn sich unsere muslimischen Gesprächspartner mit ihrem Namen vorstellen, sagt ihnen Nureddin häufig, wie der Name in der Türkei benutzt und ausgesprochen wird. Auch das verbindet. Ich laufe in solche Situationen ein bisschen nebenher, was mich aber nicht stört, denn von Nureddins guter Laune hängt meine natürlich auch ab.

Nureddin betet zu den fünf vorgeschriebenen Tageszeiten, was uns immer wieder an ungewöhnliche Orte führt. In Jaffa findet er eine alte Moschee, die wir am Anfang übersehen haben, deren Muezzinruf wir am frühen Morgen aber deutlich hören. In Jerusalem nimmt er dreimal die Gelegenheit war, in der al-Aqsa-Moschee beziehungsweise im Felsendom mit der goldenen Kuppel zu beten. Beide Gebäude befinden sich auf dem alten jüdischen Tempelplatz, auf dem bis zu seiner Zerstörung im Jahre 70 das Heiligtum der Juden stand.

Nureddin ist schon zweimal in Mekka gewesen und hat in Medina die Moschee gesehen, in welcher der Prophet Mohammed in einer plötzlichen Eingebung die vorherrschende Gebetsrichtung (nach Jerusalem) in die Gebetsrichtung nach Mekka änderte. In der Moschee sind noch Gebetskanzeln in beide Richtungen vorhanden.

Für mich wirkt der an einen festen Ort gebundene Glauben gleichzeitig feierlich und erhaben und auch ein wenig fragwürdig. In Nablus kommen wir in der Nähe der Kirche vorbei, die über dem Brunnen gebaut wurde, an dessen Rand Jesus der Frau aus Sichem sagte, es komme die Zeit, in der die Menschen Gott "im Geist und in der Wahrheit anbeten" können. Jesus schafft die Gebundenheit an einen festen Bezugspunkt ab. Er selbst ist der Tempel Gottes und seine Nachfolger können sich an jedem Ort der Welt zu ihm wenden, ohne dafür ihren Platz zu verändern.

Zu den Gebetszeiten auf dem Tempelberg kann ich Nureddin nicht begleiten. Wir versuchen es einmal, werden aber von einem Wächter am Tor abgewiesen. Nureddin ärgert das ein wenig, denn er hat vorher erlebt, dass wir sowohl zum heiligsten Ort der Juden, der Klagemauer, als auch zu den Kirchen, die an Jesus erinnern, immer freien Zutritt hatten. Mich stört es weniger. Ich kenne aus den Büchern von Karl May das Gefühl, das jeden Christen schaudern macht, wenn erzählt wird, wie man nach Mekka hineinkommt und an seiner unbeschnittenen Vorhaut als "Giaur" erkannt wird. Das rührt tiefe Schichten der Seele an, den Reichtum will ich mir behalten.

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