Dienstag, 29. August 2017

Brandenburger Idylle


Werder an der Havel

Zur Gasse hinaus gehen die Fenster auf die Türme und Türmchen der Heilig-Geist-Kirche, zur Gartenseite geht der Blick auf den Fluss, der sich hier zu einem großen See aufstaut. Unsere Ferienwohnung liegt im Obergeschoss eines früheren Fischerhauses, in dem der letzte Fischer bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts seinem Beruf nachgegangen ist.

Sein Sohn, der etwa so alt ist wie ich, hat sich im Garten einen kleinen Bungalow gebaut und vermietet die beiden Etagen im Vorderhaus an Feriengäste. Von seinem Bungalow aus sind es noch etwa 30 - 40 Schritte bis zum Ende des Gartens, wo sich ein überdachter Sitzplatz befindet, ein Bootshaus mit Steg und eine große, mit Obstbäumen bestandene und von einer Mauer zum Wasser abgegrenzte Rasenfläche.

Dieses hintere Gartenstück am Wasser gehört uns in diesen Tagen praktisch allein, die zweite Wohnung ist an zwei Polen vermietet, die tagsüber in Berlin arbeiten, morgens früh aus dem Haus gehen und abends nur noch zum Schlafen heimkehren.

Die Kirche ist nur einen Steinwurf entfernt, Der Blick ist durch die Häuserreihe auf der anderen Seite der Gasse teilweise verstellt, die vielen zierlichen Türme, die den Hauptturm wie ein Kranz umgeben, sind aber gut sichtbar und abends schön angeleuchtet. Sie wurden im Jahre 1858 auf Anweisung des architektonisch interessierten Königs Friedrich Wilhelm IV. dem Neubau hinzugefügt und erinnern entfernt an die vom Himmel herabgeträufelten Steinstrukturen der Sagrada Família in Barcelona.

Da die Kirche auf einem Hügel liegt, ist sie weit ringsum zu sehen und wirkte auf Theodor Fontane "wie eine Kleinstadtkathedrale".

Der Beruf des Fischers erfuhr in der DDR-Zeit eine große Verwandlung. Der Vater unseres Hausbesitzers wurde zu einer Parteiversammlung gerufen, bei dem ihm die Möglichkeit eröffnet wurde, seinen kleinen Fischereibetrieb in eine größere Genossenschaft einzubringen. Wie der Sohn mir erzählte, hat der Vater dies offenbar ohne großes Zögern angenommen und ist in der Erinnerung des Sohns auch gut dabei gefahren. Er habe einen sehr guten Lohn bekommen und habe sich weder um den Ankauf und die Reparatur der Netze noch um den Vertrieb der Fische kümmern müssen. Trotzdem hat er seinem Sohn in den sechziger Jahren geraten, einen anderen Beruf zu ergreifen, weil der Fischfang an der Havel keine Zukunft habe.

Es gibt nach wie vor Fischerei hier, sie hat aber eigenartigerweise mit dem immer sauberer geworden Wasser der Havel und mit eingewanderten Fischsorten neue Probleme bekommen. Das trübe Wasser früherer Zeiten enthielt viele organische Bestandteile, von denen die Fische leben konnten. Mit dem sauberen Wasser sind die Fischbestände zurückgegangen, und nun ist auch noch eine neue Fischart von kleineren Fischen hinzugekommen, die den im Uferschlamm versenkten Laich der anderen Arten frisst und den Nachwuchs weiter dezimiert. Die in der Gegend verkauften Aale kämen teilweise aus Italien, die Weißfische aus Skandinavien, sagt mein Hauswirt.

Demnächst will er mich zu einem Glas Bier in seinen Garten einladen. Ich werde mich hüten, mit ihm über die Vorzüge von Kolchosen zu diskutieren. Den besserwisserischen Wessi möchte ich auf keinen Fall darstellen.

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